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Das Schwert des Sehers

Das Schwert des Sehers

Titel: Das Schwert des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Loy
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Ich kann ganz gut alleine denken   – ohne dass ich dabei immer nur an mich selbst denken muss.«
    Dauras streifte mit dem Fuß durch das Laub und ließ es hochwirbeln. »Glaubst du das von mir?« Er hob spöttisch eine Braue. »Nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben? Nein«, fuhr er nach einer Pause fort. »Ich denke nicht nur an mich. Immerhin helfe ich dem Mädchen, nicht wahr? Der Unterschied ist nur, ich helfe dem Mädchen, nicht der Kaiserin. Ich behalte meine Freiheit und kümmere mich um die Menschen, nicht um ihre Position. Und meine Sorge ist, dass du dein Leben an all die Kaiser und die Hofräte verschwendest, ohne darauf zu schauen, ob die Menschen hinter den Titeln dein Opfer wert sind.
    Vergiss nicht, auch sie sind nur Menschen. Keiner von ihnen sollte mehr wert sein als du. Und du solltest ihre Wünsche nicht über deine eigenen stellen, nur weil sie es dir eingetrichtert haben.«
    Meris wollte wütend etwas erwidern. Doch dann schnaubte sie nur und schüttelte den Kopf. »Eine nette Predigt, Mönch. Ich will meine Antwort auf später verschieben. Wenn du keine Pflichten hast, die dich daran hindern, länger mit mir zu gehen.«
    »Ich glaube, ich genieße ein paar Stunden Ausgang«, sagte Dauras. »Unsere Kaiserin macht sich für den Ball bereit und braucht weder einen Leibwächter noch einen blinden Berater zum Ankleiden.«
    »Der Ball zur Amtseinführung unseres geliebten Kanzlers.« Meris verzog das Gesicht.
    »Deswegen bin ich hier«, sagte Dauras. »Ich wollte sicherstellen, dass du auch dort erscheinst. Und dich nicht von deinen vielen Pflichten davon abhalten lässt.«
    Meris verdrehte die Augen. »Das ist also deine Vorstellung von ›meinen eigenen Wünschen folgen‹?«, fragte sie. »Der Hofball ist der letzte Ort, an dem ich sein möchte. Ich passe nicht dorthin, und der Anlass ist nicht gerade eine Empfehlung. Der Kanzler   …« Sie brach ab.
    Sie traten durch einen breiten Korridor auf den großen Vorplatz hinaus. Beinahe wäre ihr eine Bemerkung herausgerutscht. Dass der Kanzler genauso wahnsinnig war wie Kaiser Aredrel. Doch das war sicher nicht der Fall, jedenfalls nicht, bevor er drei Jahre allein in einem Turm eingekerkert gewesen war.
    Kanzler Arnulf von Meerbergen war ein skrupelloser und gieriger Intrigant, den jeder am Hof gefürchtet hatte. Eine Spur von Blut hatte seinen Weg gezeichnet. Wo der Kaiser zum Sport und zum Vergnügen getötet hatte, hatte Arnulf es aus Berechnung getan.
    Aber wie sollte sie diesem gleichgültigen Schwertkämpfererklären, was sie alles mitbekommen hatte von den geheimen Winkelzügen, die zwischen dem Kanzler auf der einen Seite und dem Kämmerer und dem Hofrat auf der anderen über Jahre hinweg das Hofleben bestimmt hatten, bis der Kanzler in Ungnade gefallen und eingekerkert worden war?
    »Es wäre besser für alle gewesen«, sagte Dauras, »wenn er in seinem Turm geblieben wäre.«
    Meris zuckte zusammen bei Dauras’ Worten. Erschrocken sah sie ihn an. Sie fragte sich, ob seine Sinne weiter reichten, als ihr bewusst gewesen war. Konnte er etwa auch in ihren Kopf hineinschauen?
    Zumindest las er ihre Reaktionen.
    »Ah, da habe ich einen wunden Punkt getroffen.« Er lachte. »Diesen Kanzler möchte ich im Auge behalten. Aruda will ihn als Bluthund an der Kette halten, damit er ihr Haus bewacht. Aber ich habe das Gefühl, dieser Hund könnte auch plötzlich zubeißen. Vielleicht ist er sogar tollwütig. Wusstest du, dass der Kanzler Selbstgespräche führt, wenn er sich unbeobachtet glaubt? Und ich könnte schwören, dass er dabei mit zwei Stimmen spricht.«
    Meris schüttelte den Kopf. »Nein, das wusste ich nicht. Aber das andere, was du sagst   …« Sie ließ die Worte in der Luft hängen.
    Sie strebten auf den östlichen Ausgang der kaiserlichen Stadt zu, auf das Tor zur Mamorbrücke, vorbei an einem Garnisonsgebäude der Legion und an den großen Flügeln des Kaiserlichen Gerichtshofes. Die Wachen am Tor salutierten nicht, aber sie erkannten Dauras und betrachteten ihn verunsichert.
    Schweigend wanderten sie nebeneinander her über die Brücke, die zwischen dem bleiernen Himmel und dem ebenso grauen Fluss eingezwängt schien. Vor ihnen, am gegenüberliegenden Ufer, reihten sich vermoderte alte Anlegestellenaneinander, halb im Schlamm versunken, vor der breiten Uferstraße und den farblosen Fassaden der Häuser dahinter.
    Dauras blickte missmutig zum Himmel, von dem nun schwer die Regentropfen fielen. Meris schlug den Kragen

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