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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Graben.
    Die erste Befestigungsmauer stieg unmittelbar aus dem Graben. Oben hatte sie eine kleine Ziegelmauer, die weiter um den Garten vor dem Palast und den schmalen Landstreifen dahinter, zwischen den Palastmauern und der Befestigungsmauer, verlief. Kenji sprang auf den Boden, um nach Patrouillen auszuschauen, während Yuki und ich das Ziegeldach entlang zur Südostecke krochen. Zweimal hörten wir Kenjis warnendes Grillenzirpen und machten uns auf der Mauer unsichtbar, während die Patrouillen unter uns vorbeigingen.
    Ich kniete nieder und schaute hinauf. Über mir war die Fensterreihe des Korridors auf der Rückseite des Wohnsitzes. Alle Fenster waren geschlossen und vergittert bis auf eins bei den Eisenringen, von denen Shigeru an zwei Seilen hing, die um seine Handgelenke befestigt waren. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, und ich hielt ihn schon für tot, doch dann sah ich, dass er die Füße leicht gegen die Wand gestemmt hatte, um die Arme von einem Teil des Gewichts zu entlasten. Ich hörte das langsame Keuchen seines Atems. Er lebte noch.
    Der Nachtigallenboden sang. Ich drückte mich flach zurück an die Ziegel. Jemand beugte sich oben aus dem Fenster, dann stieß Shigeru einen Schmerzensschrei aus, weil seine Füße durch einen Ruck am Seil den Halt verloren.
    »Tanze, Shigeru, es ist dein Hochzeitstag!«, höhnte der Wachmann.
    Ich spürte, wie der Zorn allmählich in mir aufloderte. Yuki legte mir eine Hand auf den Arm, doch sie hatte keinen Ausbruch zu befürchten. Mein Zorn war jetzt kalt und umso mächtiger.
    Lange Zeit warteten wir hier. Unten kamen keine Patrouillen mehr vorbei. Hatte Kenji alle zum Schweigen gebracht? Die Lampe im Fenster flackerte und rauchte. Jemand kam etwa alle zehn Minuten. Immer wenn der leidende Mann am Ende der Seile einen Halt für die Füße gefunden hatte, kam eine der Wachen und schüttelte ihn weg. Jedes Mal war der Schmerzensschrei schwächer, und Shigeru brauchte länger, um sich zu erholen.
    Das Fenster blieb offen. Ich flüsterte Yuki zu: »Wir müssen hinaufklettern. Wenn du sie töten kannst, sobald sie zurückkommen, werde ich das Seil nehmen. Schneide die Seile an seinen Handgelenken durch, wenn du Hirschgebell hörst. Ich werde ihn hinunterlassen.«
    »Ich treffe dich beim Kanal«, antwortete sie.
    Unmittelbar nach dem nächsten Auftauchen eines der Folterknechte sprangen wir auf den Boden, überquerten den schmalen Landstreifen und erklommen die Palastmauer. Yuki stieg durch das Fenster hinein, während ich auf dem Sims darunter das Seil von meiner Taille nahm und es an einen der Eisenringe band.
    Die Nachtigallen sangen. Unsichtbar erstarrte ich an der Mauer. Ich hörte, wie sich jemand über mir herauslehnte, hörte ein ganz leises Keuchen, den Stoß strampelnder Füße, die hilflos gegen die Garrotte waren, dann Stille.
    Yuki flüsterte: »Los!«
    Ich kletterte die Mauer hinunter zu Shigeru, wobei das Seil abrollte. Fast hatte ich ihn erreicht, da hörte ich die Grille zirpen. Wieder machte ich mich unsichtbar und betete, dass der Nebel das zusätzliche Seil verbergen möge. Unter mir hörte ich die Patrouille passieren. Vom Graben kam ein Geräusch, ein plötzliches Platschen. Es lenkte die Wachtposten ab. Einer ging an den Mauerrand und hielt seine Fackel über das Wasser. Das Licht beschien schwach eine weiße Nebelwand.
    »Nur eine Wasserratte«, rief er. Die Männer verschwanden, ihre Schritte erstarben langsam.
    Jetzt beschleunigte sich die Zeit. Ich wusste, dass bald ein weiterer Wächter über mir auftauchen würde. Wie lange noch konnte Yuki einen nach dem anderen töten? Die Mauern waren glatt, die Seile noch schlüpfriger. Ich rutschte die letzten Zentimeter hinunter, bis ich auf gleicher Höhe mit Shigeru war.
    Seine Augen waren geschlossen, aber er hatte mein Kommen entweder gehört oder gefühlt. Er öffnete sie, flüsterte ohne Überraschung meinen Namen und zeigte mir den Schatten seines offenherzigen Lächelns, das mir erneut das Herz brach.
    Ich sagte: »Das wird wehtun. Gib keinen Laut von dir.«
    Er schloss wieder die Augen und stemmte die Füße gegen die Mauer.
    Ich band ihn so fest wie möglich an mich und bellte wie ein Hirsch. Yuki durchschnitt die Seile, die Shigeru hielten. Er keuchte wider Willen, als seine Arme frei waren. Das zusätzliche Gewicht warf mich von der glatten Mauer, und wir fielen beide hinunter, während ich betete, dass mein Seil hielt. Es trug uns bis fast auf den Boden und endete mit einem schrecklichen

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