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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Ruck auf knapp drei Viertel Mannshöhe über der Erde.
    Kenji kam aus der Dunkelheit, gemeinsam banden wir Shigeru los und trugen ihn zur Mauer.
    Kenji warf die Haken hinauf, und wir schafften es, ihn hochzuziehen. Dann banden wir ihm wieder das Seil um, und Kenji ließ ihn die Mauer hinunter, während ich neben ihm hinabkletterte und versuchte, es ihm ein wenig zu erleichtern.
    Unten konnten wir nicht anhalten, wir mussten sofort mit ihm über den Graben schwimmen und dabei sein Gesicht mit einer schwarzen Kapuze bedecken. Ohne den Nebel wären wir gleich entdeckt worden, denn wir konnten mit ihm nicht tauchen. Dann trugen wir ihn über den letzten Streifen des Schlossgeländes zum Flussufer. Inzwischen war er kaum mehr bei Bewusstsein, schwitzte vor Schmerz, hatte wunde Lippen, weil er daraufgebissen hatte, um nicht aufzuschreien. Beide Schultern waren ausgekugelt, wie ich erwartet hatte, und wegen einer inneren Verletzung hustete er Blut.
    Es regnete stärker. Ein echter Hirsch bellte, als wir ihn aufscheuchten, und sprang davon, doch vom Schloss kam kein Geräusch. Wir trugen Shigeru in den Fluss und schwammen mit ihm vorsichtig und langsam zum anderen Ufer. Ich segnete den Regen, weil er uns verbarg und jedes Geräusch überdeckte, doch seinetwegen konnte ich auch nichts von Yuki sehen, als ich zum Schloss zurückschaute.
    Am Ufer legten wir Shigeru ins hohe Sommergras. Kenji kniete sich neben ihn, nahm ihm die Kapuze ab und wischte ihm das Wasser vom Gesicht.
    »Vergib mir, Shigeru«, sagte er.
    Shigeru lächelte, sagte aber nichts. Dann nahm er alle Kraft zusammen und flüsterte meinen Namen.
    »Ich bin hier.«
    »Hast du Jato?«
    »Ja, Lord Shigeru.«
    »Gebrauche es jetzt. Bring meinen Kopf nach Terayama und begrabe mich neben Takeshi.« Er schwieg, als ihn ein neuer Schmerzanfall überkam, dann sagte er: »Und bring Iidas Kopf zu mir dorthin.«
    Als Kenji ihm auf die Knie half, sagte er leise: »Takeo hat mich nie enttäuscht.« Ich zog Jato aus der Scheide.
    Shigeru streckte den Hals vor und murmelte einige Worte: die Gebete der Verborgenen im Augenblick des Todes, gefolgt vom Namen des Erleuchteten. Auch ich betete, dass ich ihn jetzt nicht enttäuschte. Es war dunkler als in jener Nacht, in der Jato in seiner Hand mein Leben gerettet hatte.
    Ich hob das Schwert, spürte den dumpfen Schmerz im Handgelenk und bat Shigeru um Vergebung. Das Schlangenschwert sprang und biss und entließ seinen Herrn mit seiner letzten Diensthandlung in die nächste Welt.
    Die Stille der Nacht war vollständig. Das heraussprudelnde Blut klang ungeheuer laut. Wir nahmen den Kopf, badeten ihn im Fluss und hüllten ihn in die Kapuze; wir hatten beide trockene Augen, waren jenseits von Gram oder Reue.
    Unter der Wasseroberfläche bewegte sich etwas, und Sekunden später tauchte Yuki auf wie ein Otter. Mit ihrer scharfen Nachtsicht erfasste sie die Szene, kniete sich neben die Leiche und betete kurz. Ich hob Shigerus Kopf - wie schwer er war! - und legte ihn in ihre Hände.
    »Bring ihn nach Terayama«, sagte ich. »Dort werde ich zu dir stoßen.«
    Sie nickte, und ich sah ihre Zähne aufblitzen, als sie lächelte.
    »Wir müssen jetzt alle gehen«, zischte Kenji. »Es war gut gemacht, aber es ist vorbei.«
    »Zuerst muss ich seinen Körper dem Fluss übergeben.« Ich ertrug es nicht, ihn unbegraben am Ufer zu lassen. Ich holte Steine aus der Mündung des Kanals und band sie in das Lendentuch, Shigerus einzige Bekleidung. Die anderen halfen mir, ihn ins Wasser zu tragen.
    Ich schwamm zum tiefsten Teil des Flusses und ließ ihn los, wobei ich den Zug und die Strömung spürte, als der Körper sank. Blut stieg an die Oberfläche, dunkel gegen den weißen Nebel, doch der Fluss trug es fort.
    Ich dachte an das Haus in Hagi, wo der Fluss immer vor der Tür war, und an den Reiher, der jeden Abend in den Garten kam. Jetzt war Otori Shigeru tot. Meine Tränen flossen, und der Fluss trug auch sie fort.
    Aber für mich war die Arbeit dieser Nacht noch nicht erledigt. Ich schwamm zum Ufer zurück und nahm Jato auf. An der Klinge war eine blutige Spur. Ich wischte das Schwert ab und steckte es zurück in die Scheide. Ich wusste, dass Kenji Recht hatte - es würde mich beim Klettern behindern -, aber jetzt brauchte ich Jato. Zu Kenji sagte ich kein Wort, zu Yuki nur: »Wir sehen uns in Terayama.«
    Kenji flüsterte: »Takeo«, aber ohne Überzeugung. Er musste gewusst haben, dass nichts mich zurückhalten konnte. Kurz umarmte er Yuki. Erst da

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