Das Schwert in Der Stille
Hirsch.
Kaede legte sich die Hand auf den Kopf. Ihr Haar war nass von Shizukas Tränen. »Wann kommt Takeo?«
»Wenn er kommt, dann spät in der Nacht.« Nach einer langen Pause setzte Shizuka hinzu: »Es ist ein hoffnungsloses Unterfangen.«
Kaede antwortete nicht. Ich werde auf ihn warten, versprach sie sich. Ich werde ihn noch einmal sehen.
Sie befühlte den kühlen Messergriff in ihrem Gewand. Shizuka bemerkte die Bewegung, zog Kaede an sich und umarmte sie. »Haben Sie keine Angst. Was immer Sie tun, ich bleibe bei Ihnen. Ich werde Ihnen in die nächste Welt folgen.«
Lange umarmten sie sich. Von ihren Gefühlen erschöpft, glitt Kaede in den Zustand der Verwirrung, der mit dem Kummer einhergeht. Ihr war, als würde sie träumen und hätte eine andere Welt betreten, wo sie furchtlos in Takeos Armen lag. Nur er kann mich retten. Nur er kann mich ins Leben zurückbringen.
Später sagte sie zu Shizuka, sie würde gern baden, und bat sie, ihr Stirn und Augenbrauen zu zupfen sowie Füße und Beine glatt zu schrubben. Sie aß ein wenig und saß dann äußerlich gelassen und still da, meditierte über das, was sie als Kind gelehrt worden war, und erinnerte sich an das heitere Gesicht des Erleuchteten in Terayama.
»Hab Mitleid mit mir«, betete sie. »Hilf mir, mutig zu sein.«
Die Dienstmädchen kamen und breiteten die Betten aus. Kaede machte sich zum Schlafen bereit; das Messer hatte sie unter die Matratze gelegt. Es war bereits die Stunde der Ratte, und im Palast herrschte Stille bis auf das ferne Gelächter der Wachen. Da hörte sie Schritte, die den Boden zirpen ließen. Jemand klopfte an die Tür. Shizuka öffnete und sank sofort auf den Boden. Kaede hörte Lord Abes Stimme.
Entsetzen überkam sie. Er will Shizuka festnehmen.
Shizuka sagte: »Es ist sehr spät, Lord. Lady Shirakawa ist erschöpft.« Doch Abes Stimme klang hartnäckig. Seine Schritte entfernten sich. Shizuka hatte gerade noch Zeit, Kaede zuzuflüstern: »Lord Iida wünscht Sie zu besuchen«, da sang der Boden wieder.
Iida kam ins Zimmer, gefolgt von Abe und dem Einarmigen, der Ando hieß.
Kaede schaute kurz in ihre Gesichter, die rot vom Wein und vom Triumph ihrer Rache waren. Sie sank auf den Boden, ihr Kopf drückte sich an die Matte, ihr Herz raste.
Iida ließ sich mit gekreuzten Beinen nieder. »Setzen Sie sich auf, Lady Shirakawa.«
Unwillig hob sie den Kopf und betrachtete ihn. Er war nachlässig in sein Nachtgewand gekleidet, trug aber sein Schwert in der Schärpe. Die beiden Männer, die hinter ihm knieten, waren ebenfalls bewaffnet. Sie setzten sich jetzt auch auf und musterten Kaede mit beleidigender Neugier.
»Verzeihen Sie mir diese späte Störung«, sagte Iida. »Aber ich fand, der Tag sollte nicht zu Ende gehen, ohne dass ich Ihnen mein Bedauern über Ihre unglückliche Lage ausdrücke.« Er lächelte ihr zu, zeigte dabei seine großen Zähne und sagte über die Schulter zu Shizuka: »Geh.«
Kaedes Augen wurden groß und ihr Atem kam stoßweise, doch sie wagte nicht, den Kopf zu drehen und Shizuka anzuschauen. Sie hörte, wie die Tür zuglitt, und nahm an, dass das Mädchen irgendwo in der Nähe auf der anderen Seite war. Sie saß regungslos mit gesenktem Blick und wartete darauf, dass Iida fortfuhr.
»Ihre Hochzeit, von der ich glaubte, sie würde ein Bündnis mit den Otori schließen, scheint ein Vorwand für Nattern gewesen zu sein, mich zu beißen. Aber ich glaube, ich habe die Brut ausgerottet.« Er schaute sie unverwandt an. »Sie waren mehrere Wochen lang mit Otori Shigeru und Maruyama Naomi unterwegs. Haben Sie nie vermutet, dass sie sich gegen mich verschworen?«
»Ich wusste nichts, Lord«, sagte sie und fügte leise hinzu: »Wenn es eine Verschwörung gab, konnte sie nur dank meiner Unwissenheit gelingen.«
»Hm«, brummte er. Nach einer langen Pause fragte er: »Wo ist der junge Mann?«
Sie hatte nicht geglaubt, dass ihr Herz schneller schlagen könnte, aber jetzt raste es; der Puls klopfte in ihren Schläfen und nahm ihr fast das Bewusstsein. »Welcher junge Mann, Lord Iida?«
»Der so genannte Adoptivsohn, Takeo.«
»Ich weiß nichts von ihm«, antwortete sie; es klang verwirrt. »Wie sollte ich?«
»Wie würden Sie ihn beschreiben?«
»Er war jung, sehr still. Er wirkte weltfremd; er malte und zeichnete gern.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Er war unbeholfen und… vielleicht nicht sehr tapfer.«
»So sah ihn Lord Abe. Wir wissen jetzt, dass er einer der Verborgenen war. Vor einem Jahr
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