Das Schwert in Der Stille
gehörte, und wir erfuhren, dass die Lady sich nicht wohl fühlte. Kenji ging zu ihr und wollte bei der Rückkehr ausführlich ihre Schönheit beschreiben, aber das Unwetter brach los, und aus Furcht, der Donner werde die Pferde unruhig machen, lief ich in den Stall, ohne ihm zuzuhören. Ich interessierte mich nicht für diese Schönheit. Wenn ich überhaupt an die Lady dachte, dann mit Abneigung wegen der Rolle, die sie bei der Falle für Shigeru spielen sollte.
Nach einer Weile kam Kenji zu mir in den Stall, begleitet von der Kammerdienerin. Sie sah aus wie ein hübsches, gutartiges, oberflächliches Mädchen, aber noch bevor sie mich kein bisschen respektvoll angrinste und als »Vetter!« ansprach, hatte ich sie als Angehörige des Stamms erkannt.
Sie drückte ihre Hände an die meinen. »Ich bin auch eine Kikuta, mütterlicherseits. Aber von meinem Väter her eine Muto. Kenji ist mein Onkel.«
Unsere Hände hatten die gleiche langfingrige Form und die gleiche gerade Linie über der Handfläche. »Das ist das einzige Merkmal, das ich geerbt habe«, sagte sie kleinlaut. »Der Rest von mir ist ganz Muto.«
Wie Kenji konnte sie ihr Äußeres verwandeln, so dass man sich nie sicher war, sie wiederzuerkennen. Zuerst hielt ich sie für sehr jung; tatsächlich war sie fast dreißig und hatte zwei Söhne.
»Lady Kaede geht es etwas besser«, sagte sie zu Kenji. »Nach deinem Tee ist sie eingeschlafen, und jetzt will sie aufstehen.«
»Du hast sie zu sehr angestrengt.« Kenji grinste. »Was hast du dir dabei gedacht bei dieser Hitze?« Mir erklärte er: »Shizuka bringt Lady Shirakawa die Schwertkunst bei. Dich kann sie auch unterrichten. Bei diesem Regen werden wir tagelang hier bleiben.« Zu ihr sagte er: »Vielleicht kannst du ihm Rücksichtslosigkeit beibringen. Das ist alles, was ihm fehlt.«
»Sie lässt sich schwer lehren«, antwortete Shizuka. »Entweder man hat sie oder man hat sie nicht.«
Kenji wandte sich an mich. »Sie hat sie. Bleib auf ihrer rechten Seite!«
Ich gab keine Antwort. Es ärgerte mich etwas, dass Kenji ihr gleich bei der ersten Begegnung von meiner Schwäche erzählte. Wir standen unter dem Dachgesims des Stallhofs, vor uns trommelte der Regen aufs Pflaster, hinter uns stampften die Pferde.
»Hat sie häufig dieses Fieber?«, fragte Kenji.
»Eigentlich nicht. Es ist das erste dieser Art. Aber sie ist nicht kräftig. Sie isst kaum etwas; sie schläft schlecht. Sie macht sich Sorgen über die Heirat und über ihre Familie. Ihre Mutter liegt im Sterben und sie hat sie nicht mehr gesehen, seit sie sieben war.«
»Du hast sie lieb gewonnen«, sagte Kenji lächelnd.
»Ja, das stimmt, obwohl ich nur zu ihr gekommen bin, weil Arai mich darum gebeten hat.«
»Ich habe nie ein schöneres Mädchen gesehen«, gab Kenji zu.
»Onkel! Du bist ja hingerissen von ihr!«
»Das muss das Alter sein. Ihre traurige Lage rührt mich. Sie wird die Leidtragende sein, egal wie sich die Dinge entwickeln.«
Ein heftiger Donnerschlag krachte über unseren Köpfen. Die Pferde bockten und rissen an ihren Leinen. Ich lief zu ihnen, um sie zu beruhigen. Shizuka kehrte in die Herberge zurück und Kenji ging auf die Suche nach dem Badehaus. Ich sah beide erst am Abend wieder.
Später, als ich gebadet und festliche Kleidung angelegt hatte, war ich Lord Shigeru bei den Vorbereitungen für das erste Treffen mit seiner künftigen Frau behilflich. Wir hatten Geschenke mitgebracht, und ich nahm sie mit den Lackgegenständen aus den Kisten. Ich war noch nie zuvor bei einer Verlobung gewesen, aber sie sollte wohl eine heitere Angelegenheit sein. Vielleicht ist sie für die Braut immer mit Befürchtungen verbunden. Diese Verlobung schien mir mit Spannungen und schlechten Vorzeichen belastet.
Lady Maruyama begrüßte uns, als seien wir nur flüchtige Bekannte, doch sie wandte den Blick kaum von Shigerus Gesicht. Ich fand, dass sie seit unserem Treffen in Chigawa gealtert war. Sie war nicht weniger schön, doch Leid hatte ihr feine Falten ins Gesicht gegraben. Sowohl sie wie Shigeru verhielten sich kalt zueinander und zu allen anderen, besonders zu Lady Shirakawa.
Ihre Schönheit ließ uns verstummen. Trotz Kenjis Begeisterung war ich nicht darauf vorbereitet. Jetzt glaubte ich Lady Maruyamas Leid zu verstehen: Zumindest ein Teil davon musste Eifersucht sein. Wie konnte ein Mann den Besitz einer solchen Schönheit ablehnen? Shigeru war kein Vorwurf zu machen, wenn er darauf einging. Er erfüllte dann nur seine Pflicht
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