Das Schwert in Der Stille
streiften. Es war das erste Mal, dass wir uns berührten. Keiner von uns sagte etwas. Die Hitze schien intensiver zu sein, das Grillengezirp eindringlicher. Eine Welle der Müdigkeit überkam mich. Schlafmangel und Erregung machten mich benommen. Meine Finger hatten ihre Sicherheit verloren und zitterten, als ich die Malutensilien zusammenpackte.
»Lasst uns in den Garten gehen«, sagte Shigeru und nahm die Damen mit hinaus. Ich spürte den Blick des alten Priesters auf mir.
»Komm zu uns zurück«, sagte er, »wenn das alles vorbei ist. Es wird hier immer einen Platz für dich geben.«
Ich dachte an all die Unruhen und Veränderungen, die der Tempel gesehen hatte, die Kämpfe, die ringsum wüteten. Er schien so friedlich. Die Bäume standen wie vor Jahrhunderten, der Erleuchtete saß mit seinem heiteren Lächeln zwischen den Kerzen. Doch selbst an diesem Ort des Friedens planten Männer den Krieg. Nie könnte ich mich zurückziehen und malen und Gärten planen, solange Iida lebte.
»Wird es je vorbei sein?«, entgegnete ich.
»Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende«, sagte er.
Ich verbeugte mich vor ihm bis auf den Boden, und er legte segnend die Handflächen aneinander.
Makoto ging mit mir hinaus in den Garten. Er betrachtete mich prüfend. »Wie viel hörst du?«, fragte er leise.
Ich schaute mich um. Die Tohan waren mit Shigeru oben auf der Treppe. »Können Sie hören, was sie sagen?«
Er schätzte die Entfernung. »Nur wenn sie es rufen.«
»Ich höre jedes Wort. Ich kann sie im Speisehaus unten hören. Ich kann Ihnen sagen, wie viele Menschen dort versammelt sind.«
Jetzt fiel mir auf, dass es wie eine beachtliche Menge klang.
Makoto lachte überrascht und anerkennend auf. »Wie ein Hund?«
»Ja, wie ein Hund.«
»Nützlich für deine Herren.«
Seine Worte blieben mir im Gedächtnis. Ich war nützlich für meine Herren, für Lord Shigeru, für Kenji, für den Stamm. Ich war mit dunklen Talenten geboren worden, um die ich nicht gebeten hatte, doch ich konnte nicht widerstehen, sie zu verfeinern und zu erproben, und sie hatten mich an den Platz gebracht, an dem ich jetzt war. Ohne sie wäre ich sicher tot gewesen. Mit ihnen wurde ich jeden Tag tiefer in diese Welt der Lügen, der Geheimnisse und der Rache gezogen. Ich fragte mich, wie viel davon Makoto verstand, und wünschte, ich könnte meine Gedanken mit ihm teilen. Instinktiv fasste ich Zuneigung zu ihm - mehr als Zuneigung: Vertrauen. Doch die Schatten wurden länger. Es war fast die Stunde des abendlichen Hähnekrähens. Wir mussten nach Yamagata zurück, bevor es Nacht wurde. Wir hatten keine Zeit zum Reden.
Als wir die Treppen hinuntergingen, war tatsächlich eine große Menschenmenge vor der Herberge versammelt.
»Sind sie für das Fest hier?«, fragte ich Makoto.
»Zum Teil«, sagte er und dann leiser, so dass ihn sonst niemand hören konnte: »Doch hauptsächlich, weil sie gehört haben, dass Lord Otori hier ist. Sie haben nicht vergessen, wie es vor Yaegahara war. So wenig wie wir hier.«
»Lebe wohl«, sagte er, als ich auf Raku stieg. »Wir werden uns wiedersehen.«
Auf dem Bergpfad und auf der Straße war es das Gleiche. Viele Menschen waren unterwegs und schienen alle Lord Shigeru mit eigenen Augen sehen zu wollen. Es hatte etwas Unheimliches, wie die schweigenden Leute zu Boden sanken, während wir vorbeiritten, dann aufstanden und uns mit ernsten Gesichtern und brennenden Augen nachschauten.
Die Tohan waren wütend, konnten aber nichts tun. Sie ritten ein Stück vor mir, doch ich hörte ihre geflüsterte Unterhaltung so deutlich, als würden sie mir in die Ohren sprechen.
»Was hat Shigeru im Tempel getan?«, fragte Abe.
»Gebetet, mit dem Priester gesprochen. Man hat uns die Werke von Sesshu gezeigt; der Junge hat gemalt.«
»Was der Junge getan hat, interessiert mich nicht! War Shigeru mit dem Priester allein?«
»Nur ein paar Minuten«, log der Jüngere.
Abes Pferd stürzte vor. Er musste zornig am Zügel gerissen haben.
»Er schmiedet kein Komplott«, sagte der junge Mann lässig. »Alles ist so, wie es aussieht. Er ist auf dem Weg zur Hochzeit. Ich verstehe nicht, warum Sie sich solche Sorgen machen. Die drei sind harmlos. Narren - sogar Feiglinge -, aber harmlos.«
»Du bist ein Narr, wenn du das glaubst«, knurrte Abe. »Shigeru ist viel gefährlicher, als er aussieht. Vor allem ist er kein Feigling. Er hat Geduld. Und niemand in den drei Ländern hat diese Wirkung auf die Menschen!«
Sie ritten eine
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