Das Schwert in Der Stille
und begnügte mich damit, Abes dicken Nacken zu betrachten, als er vor mir ritt; ich stellte mir vor, wie es sein würde, die Garrotte darum zu ziehen oder ein Messer in sein festes Fleisch zu stoßen.
Diese dunklen Gedanken beschäftigten mich, bis wir über der Brücke und aus der Stadt heraus waren. Dann bezauberte mich die Schönheit des Tages. Das Land heilte sich selbst nach den Verwüstungen durch die Unwetter. Purpurwinden hatten die strahlenden Blüten geöffnet, auch wenn die Ranken in den Schlamm gerissen waren. Eisvögel sausten über den Fluss, Silber- und Graureiher standen an den seichten Stellen. Ein Dutzend verschiedene Libellen schwebten über uns, und orangebraune und gelbe Schmetterlinge flogen an den Pferdefüßen hoch.
Im flachen Land der Flussebene ritten wir zwischen hellgrünen Reisfeldern hindurch; die Pflanzen waren vom Sturm niedergedrückt, stellten sich aber bereits wieder auf. Überall waren Leute eifrig bei der Arbeit; selbst sie wirkten fröhlich trotz der Zerstörung um sie herum. Sie erinnerten mich an die Leute in meinem Dorf, an ihren unbeugsamen Mut angesichts der Katastrophe, ihren unerschütterlichen Glauben an das grundsätzlich Gute im Leben und die Freundlichkeit der Welt, was immer ihnen widerfuhr. Ich fragte mich, wie viele Jahre der Tohanherrschaft es dauern würde, ihnen diesen Glauben aus den Herzen zu reißen.
Die Reisfelder wichen terrassenförmig angelegten Gemüsegärten und dann, als der Pfad steiler wurde, Bambusgehölzen, die sich mit ihrem schwachen, silbergrünen Licht um uns schlossen. Auf den Bambus folgten wiederum Kiefern und Zedern; die dicken Nadeln unter den Hufen dämpften die Pferdeschritte.
Um uns herum erstreckte sich der undurchdringliche Wald. Gelegentlich überholten wir auf dem Pfad Pilger auf ihrer anstrengenden Reise zum heiligen Berg. Wir ritten hintereinander, deshalb waren Gespräche schwierig. Ich wusste, dass Kenji darauf brannte, mich über die vergangene Nacht zu befragen, aber ich wollte nicht darüber reden, noch nicht einmal daran denken.
Nach fast drei Stunden kamen wir zu der kleinen Häusergruppe um das äußere Tempeltor. Für Besucher gab es hier eine Herberge. Die Pferde wurden zum Füttern und Tränken weggebracht, und wir aßen die Mittagsmahlzeit, einfache Gemüsegerichte, die von den Mönchen zubereitet worden waren.
»Ich bin ein wenig müde«, sagte Lady Maruyama, nachdem wir gegessen hatten. »Lord Abe, bleiben Sie bei Lady Shirakawa und mir, während wir uns etwas ausruhen.«
Er konnte nicht ablehnen, obwohl er Shigeru offensichtlich nur ungern aus den Augen verlor.
Shigeru gab mir die Holzkiste, die ich den Hügel hinauftragen sollte, und ich nahm auch mein eigenes Päckchen mit Pinseln und Tusche mit. Der junge Tohan begleitete uns; er machte ein mürrisches Gesicht, als stehe er dem ganzen Ausflug argwöhnisch gegenüber, doch der Besuch im Kloster musste selbst den Misstrauischen harmlos genug erscheinen. Shigeru konnte schließlich nicht so nahe an Terayama vorbeiziehen, ohne zum Grab seines Bruders zu gehen, noch dazu ein Jahr nach dessen Tod und zur Zeit des Totenfestes.
Wir stiegen die steilen Steinstufen hinauf. Der Tempel stand neben einem sehr alten Schrein an der Bergseite. Die Bäume in dem heiligen Gehölz mussten vier- oder fünfhundert Jahre alt sein, ihre riesigen Stämme stiegen zum Blätterdach auf, ihre knorrigen Wurzeln klammerten sich wie Waldgeister an den moosigen Boden. In der Ferne hörte ich den Gesang der Mönche, das Klingen von Gongs und Glocken und unter diesen Geräuschen die Stimme des Waldes, die Minmin, das Rauschen des Wasserfalls, den Wind in den Zedern, die Vogelrufe. Meine gute Stimmung angesichts der Schönheit des Tages wich einer anderen, tieferen Empfindung, einem Gefühl der Ehrfurcht und der Erwartung, als ob sich mir gleich ein großes, wunderbares Geheimnis enthüllen würde.
Schließlich kamen wir zum zweiten Tor, das zu anderen Häusern führte, in denen Pilger und andere Besucher übernachteten. Hier bat man uns zu warten und gab uns Tee zu trinken. Gleich darauf näherten sich uns zwei Priester. Der eine war ein alter Mann, ziemlich klein und gebrechlich, doch mit strahlenden Augen und einem Ausdruck großer Gelassenheit. Der andere war wesentlich jünger, muskulös und hatte ein strenges Gesicht.
»Sie sind hier sehr willkommen, Lord Otori«, sagte der Alte und verstimmte den Tohan damit noch mehr. »Mit großer Betrübnis haben wir Lord Takeshi begraben. Sie
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