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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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sind gewiss gekommen, um sein Grab zu besuchen.«
    »Bleib hier mit Muto Kenji«, sagte Shigeru zu dem Soldaten. Er und ich folgten dem alten Priester zum Friedhof, wo die Grabsteine in Reihen unter den großen Bäumen standen. Jemand verbrannte Holz, und der Rauch zwischen den Stämmen verwandelte das Sonnenlicht in blaue Strahlen.
    Wir drei knieten schweigend nieder. Nach einigen Minuten kam der jüngere Priester mit Weihrauch und Kerzen, die er Shigeru gab. Der Lord stellte beides vor den Stein. Der süße Duft schwebte um uns. Die Kerzen brannten ruhig, weil kein Wind wehte, doch ihre Flammen waren in der hellen Sonne kaum zu sehen. Shigeru holte auch zwei Gegenstände aus seinem Ärmel, einen schwarzen Stein wie die am Meeresufer bei Hagi und ein Strohpferd, ein Kinderspielzeug, und legte sie aufs Grab.
    Ich erinnerte mich an seine Tränen in der ersten Nacht unserer Begegnung. Jetzt verstand ich seine Trauer, doch keiner von uns weinte.
    Nach einer Weile erhob sich der Priester, berührte Shigeru an der Schulter, und wir folgten ihm zum Hauptgebäude dieses abgelegenen Tempels auf dem Lande. Es war aus Zypressen- und Zedernholz gebaut, das mit der Zeit zu einem Silbergrau verblichen war. Das Haus wirkte nicht groß, doch seine wohlgestaltete Mittelhalle vermittelte ein Gefühl von Weite und Ruhe und lenkte den Blick zu der Stelle, wo die goldene Statue des Erleuchteten zwischen den Kerzenflammen zu schweben schien wie im Paradies.
    Wir zogen die Sandalen aus und gingen hinauf in die Halle. Wieder brachte der junge Mönch Weihrauch, den wir vor die goldenen Füße der Statue legten. Der Mönch kniete sich neben uns und begann einen Abschnitt der altüberlieferten Schriften für die Toten zu singen.
    Es war dämmrig hier, und meine Augen waren von den Kerzen geblendet, doch ich konnte andere im Tempel jenseits des Altars atmen hören, und als ich mich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, sah ich Mönche, die in schweigender Meditation dasaßen. Die Halle war wesentlich größer, als ich zuerst geglaubt hatte, und es befanden sich viele Mönche hier, möglicherweise Hunderte.
    Obwohl ich unter den Verborgenen aufgewachsen war, hatte meine Mutter mich oft in die Schreine und Tempel unseres Bezirks mitgenommen, und ich wusste einiges über die Lehren des Erleuchteten. Jetzt dachte ich wie so oft zuvor, dass betende Menschen sich im Aussehen und im Ton ihrer Stimmen gleichen. Der Friede dieses Ortes durchdrang meine Seele. Was tat ich hier, wo ich doch ein Mörder war und mein Herz nach Rache dürstete?
    Als die Zeremonie vorbei war, gingen wir zu Kenji zurück, der in ein einseitiges Gespräch mit dem Tohan über Kunst und Religion vertieft war.
    »Wir haben ein Geschenk für den Abt.« Shigeru hob die Kiste auf, die ich bei Kenji gelassen hatte.
    Die Augen des Priesters funkelten. »Ich werde Sie zu ihm bringen.«
    »Und die jungen Männer würden gern die Bilder sehen«, sagte Kenji.
    »Makoto wird sie ihnen zeigen. Folgen Sie mir bitte, Lord Otori.«
    Der Tohan war überrascht, als Shigeru mit dem älteren Priester hinter dem Altar verschwand. Es sah aus, als wolle er ihm folgen, doch Makoto schien ihm den Weg zu versperren, ohne ihn zu berühren oder ihm zu drohen.
    »Hier entlang, junger Mann!«
    Entschlossen drängte er uns drei aus dem Tempel und über einen Bretterweg zu einer kleineren Halle.
    »Der große Maler Sesshu lebte zehn Jahre lang in diesem Tempel«, erklärte er uns. »Er entwarf die Gärten und malte Landschaften, Tiere und Vögel. Diese Holztafeln sind sein Werk.«
    »Das ist es, was einen Künstler ausmacht«, sagte Kenji in seinem nörgelnden Lehrerton.
    »Ja, Meister«, stimmte ich bei. Ich brauchte die demütige Haltung nicht zu spielen: Das Werk vor unseren Augen erfüllte mich mit Ehrfurcht. Das schwarze Pferd, die weißen Kraniche schienen von der vollendeten Kunst des Malers in einem bestimmten Augenblick eingefangen und festgehalten worden zu sein. Man hatte das Gefühl, dass der Bann jeden Moment gebrochen werden könnte; dann würde das Pferd stampfen und sich aufbäumen, die Kraniche würden uns sehen und sich in die Lüfte erheben. Der Maler hatte erreicht, was wir alle gern tun würden: die Zeit einzufangen und stillstehen zu lassen.
    Die Tafel neben der Tür schien leer zu sein. Ich betrachtete sie und glaubte, die Farben seien verblichen. Makoto sagte: »Darauf waren Vögel, doch nach der Legende waren sie so lebensecht, dass sie davonflogen.«
    »Du siehst, wie viel du zu lernen

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