Das Schwert in Der Stille
Weile schweigend weiter, dann murmelte Abe: »Ein einziges Zeichen von Verrat und wir haben ihn.«
Die Worte wehten durch den vollendeten Sommerabend zu mir. Als wir beim Fluss ankamen, war es dämmrig, ein blaues Zwielicht, das von Glühwürmchen unter den Binsen erhellt wurde. Am Ufer loderten schon die Feuer für die zweite Festnacht. Die vergangene Nacht war von Trauer erfüllt und gedämpft gewesen. Heute Nacht war die Stimmung wilder, mit einem Unterton von Aufruhr und Gewalt. Die Straßen waren überfüllt, das größte Gedränge herrschte am Rand des Burggrabens. Dort standen Leute und starrten auf das erste Schlosstor.
Als wir vorbeiritten, sahen wir die vier Köpfe über dem Tor. Die Körbe waren bereits von den Mauern entfernt worden.
»Sie sind rasch gestorben«, sagte Shigeru zu mir. »Sie hatten Glück.«
Ich entgegnete nichts. Ich beobachtete Lady Maruyama. Sie warf einen schnellen Blick auf die Köpfe und wandte sich dann ab; ihr Gesicht war bleich, aber beherrscht. Was sie wohl dachte? Ob sie betete?
Die Menge war durch den Geruch von Blut und Tod aufgeschreckt, sie murrte und drängte wie ein gehetztes Tier im Schlachthaus.
»Trödle nicht«, sagte Kenji. »Ich werde hier und da ein bisschen Klatsch aufschnappen und mich dann in der Herberge mit euch treffen. Bleib im Haus.« Er rief nach einem der Pferdeknechte, stieg ab, gab dem Mann die Zügel und verschwand in der Menge.
Als wir in die gerade Straße einbogen, durch die ich in der vergangenen Nacht gerannt war, ritt eine Tohantruppe mit gezogenen Schwertern auf uns zu.
»Lord Abe!«, rief einer der Soldaten. »Wir sollen die Straßen räumen. Die Stadt ist in Aufruhr. Bringen Sie Ihre Gäste ins Haus und stellen Sie Wachen an den Toren auf.«
»Was hat die Unruhen ausgelöst?«, fragte Abe.
»Die Verbrecher sind alle in der Nacht gestorben. Ein Mann behauptet, dass ein Engel gekommen ist und sie erlöst hat!«
»Lord Otoris Anwesenheit macht die Lage nicht einfacher«, sagte Abe bitter, während er uns in die Herberge drängte. »Morgen reiten wir weiter.«
»Das Fest ist noch nicht vorbei«, bemerkte Shigeru. »Am dritten Tag zu reisen wird nur Unglück bringen.«
»Da kann man nichts machen! Hier zu bleiben wäre schlimmer.« Er hatte sein Schwert gezogen, und jetzt zischte es durch die Luft, weil er auf die Menge einhieb. »Runter mit euch!«, schrie er.
Vom Lärm erschreckt stürzte Raku vorwärts, und plötzlich ritt ich Knie an Knie mit Kaede. Die Pferde wandten sich die Köpfe zu, und jedes schöpfte offenbar Mut durch die Anwesenheit des anderen. In vollkommenem Gleichschritt trabten sie durch die Straße.
Kaede schaute vor sich hin und sagte so leise, dass niemand außer mir es über dem Tumult um uns verstehen konnte: »Ich wollte, wir könnten zusammen allein sein. Es gibt so vieles, was ich über Sie wissen möchte. Ich weiß noch nicht einmal, wer Sie wirklich sind. Warum geben Sie vor, weniger zu sein, als Sie sind? Warum verbergen Sie Ihre Geschicklichkeit?«
Ich wäre gern bis in alle Ewigkeit so neben ihr geritten, doch die Straße war kurz, und ich hatte Angst, ihr zu antworten. Ich trieb mein Pferd voran, als wäre sie mir gleichgültig, aber mein Herz hämmerte bei ihren Worten. Das war alles, was ich mir wünschte: mit ihr allein zu sein, mein verborgenes Ich zu enthüllen, auf alle Geheimnisse und Täuschungen zu verzichten, Haut an Haut bei ihr zu liegen.
Würde das je möglich sein? Nur wenn Iida starb.
Bei der Herberge ging ich zu den Ställen, um die Pflege der Pferde zu überwachen. Die Otori, die zurückgeblieben waren, begrüßten mich erleichtert. Sie hatten um unsere Sicherheit gefürchtet.
»Die Stadt ist wie ein Pulverfass«, sagte einer. »Ein Funke und es gibt Straßenkämpfe.«
»Was habt ihr gehört?«, fragte ich.
»Diese Verborgenen, die von den Dreckskerlen gefoltert wurden. Jemand hat es bis zu ihnen geschafft und hat sie getötet. Unglaublich! Dann kommt einer auf die Idee, dass er einen Engel gesehen hat!«
»Sie wissen, dass Lord Otori hier ist«, fügte ein anderer hinzu. »Sie betrachten sich immer noch als Otori. Ich wette, sie haben genug von den Tohan.«
»Wir könnten diese Stadt einnehmen, wenn wir hundert Männer hätten«, murmelte der Erste.
»Sagt so etwas nicht, noch nicht einmal unter euch, noch nicht einmal zu mir«, warnte ich sie. »Wir haben keine hundert Männer. Wir sind den Tohan ausgeliefert. Wir sind angeblich die Werkzeuge eines Bündnisses. So muss man
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