Das Schwert in Der Stille
Shizuka verbeugte sich.
»Geht es Lady Shirakawa gut?«, fragte er in gewohnter Lautstärke, wobei er von ihr abrückte.
»Ich wollte, es ginge ihr besser«, antwortete Shizuka leise. »Sie kann weder essen noch schlafen.«
Mein Herz hatte einige Schläge ausgesetzt, als Shigeru gesagt hatte: heute Nacht. Dann klopfte es rasch, aber gleichmäßig und schickte mir das Blut machtvoll durch die Adern. Ich schaute wieder auf den Plan in meiner Hand und schrieb mir seine Botschaft ins Gehirn. Bei dem Gedanken an Kaede, an ihr blasses Gesicht, die zarten Knochen ihres Handgelenks, die Flut schwarzer Haare stockte mein Herzschlag wieder. Ich stand auf und ging zur Tür, um meine Erregung zu verbergen.
»Ich bedaure tief das Leid, das ich ihr zufüge«, sagte Shigeru.
»Sie fürchtet, Ihnen Leid zuzufügen«, entgegnete Shizuka und fügte leise hinzu, »neben allem anderen, was sie fürchtet. Ich muss zu ihr zurück. Ich habe Angst, sie allein zu lassen.«
»Was meinst du damit?«, rief ich, so dass beide mich anschauten.
Shizuka zögerte. »Sie spricht oft vom Tod«, sagte sie schließlich.
Ich wollte Kaede irgendeine Botschaft schicken. Ich wollte zum Schloss laufen und sie herausholen - sie irgendwo hinbringen, wo wir in Sicherheit sein würden. Aber ich wusste, dass es einen solchen Ort nicht gab und nie geben würde, bis das alles vorbei war…
Ich wollte auch Shizuka nach Kenji fragen - was er vorhatte, was der Stamm beabsichtigte -, aber Dienstmädchen brachten das Mittagsmahl, und es gab keine Möglichkeit mehr, heimlich mit ihr zu reden, bevor sie ging.
Beim Essen besprachen wir kurz den Besuch am Nachmittag. Danach schrieb Shigeru Briefe, während ich mich in meine Skizzen vom Schloss vertiefte. Ich merkte, dass er mich häufig anschaute, und spürte, dass er mir vieles sagen wollte; doch er sagte nichts. Ich saß ruhig auf dem Boden, schaute hinaus in den Garten, atmete langsamer, zog mich in das dunkle, stille Ich zurück, das in mir war, ließ es frei, damit es jeden Muskel, jede Sehne, jeden Nerv übernahm. Mein Gehör schien schärfer denn je zu sein. Ich konnte die ganze Stadt hören, ihre Kakophonie menschlichen und tierischen Lebens, ihre Äußerungen von Freude, Verlangen, Schmerz, Leid. Ich sehnte mich nach Stille, wollte frei von allem sein. Ich wünschte mir die Nacht herbei.
Kenji kam zurück, sagte aber nicht, wo er gewesen war. Stumm schaute er zu, wie wir die festlichen Gewänder mit dem Otoriwappen auf dem Rücken anlegten. Nur einmal äußerte er sich; er meinte, es könne klüger sein, wenn ich nicht ins Schloss ginge, doch Shigeru wies darauf hin, dass ich mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen würde, wenn ich zurückbliebe. Er fügte nicht hinzu, dass ich noch einmal das Schloss sehen müsse. Ich war mir auch darüber klar, dass ich Iida wiedersehen musste. Mein einziges Bild von ihm war die schreckliche Gestalt, die mich vor einem Jahr in Mino geängstigt hatte: die schwarze Rüstung, der gehörnte Helm, das Schwert, das fast mein Leben beendet hätte. So groß und mächtig war dieses Bild für mich geworden, dass es ein Schock sein würde, ihn leibhaftig und ohne Rüstung zu sehen.
Wir ritten mit allen zwanzig Otorimännern hinüber. Sie warteten mit den Pferden im ersten Schlosshof, während Shigeru und ich mit Abe weitergingen. Als wir aus unseren Sandalen schlüpften und auf den Nachtigallenboden traten, hielt ich den Atem an und horchte auf das Vogellied unter meinen Füßen. Der Wohnsitz war in modernem Stil überwältigend dekoriert; die auserlesenen Bilder lenkten mich fast von meiner dunklen Absicht ab. Sie waren nicht still und zurückhaltend wie die Sesshugemälde in Terayama, sondern leuchtend und farbenprächtig, voller Leben und Kraft. Im Vorzimmer, wo wir über eine halbe Stunde warteten, waren Türen und Wandschirme mit Kranichen auf schneebedeckten Weiden verziert. Shigeru bewunderte sie, und unter Abes hämischen Blicken sprachen wir leise über die Gemälde und den Künstler.
»In meinen Augen sind diese hier Sesshu weit überlegen«, sagte der Tohanlord. »Die Farben sind üppiger und strahlender, der Maßstab ist ehrgeiziger.«
Shigeru murmelte etwas, das weder Zustimmung noch Widerspruch bedeutete. Ich sagte nichts. Kurz darauf kam ein älterer Mann herein, verneigte sich bis zum Boden und sagte zu Abe: »Lord Iida ist bereit, seine Gäste zu empfangen.«
Wir standen auf, traten wieder auf den Nachtigallenboden und folgten Abe in den großen Saal. Hier kniete
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