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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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mich an. Unsere Blicke begegneten sich, und ich wusste sofort, wer er war. Ich erkannte das lange, wölfische Gesicht mit den hohen hellen Brauen und den tief liegenden Augen. Seine rechte Seite war von mir abgewandt, aber auch ohne sie zu sehen wusste ich, dass ihm der rechte Arm fehlte; Jato in Otori Shigerus Hand hatte ihn abgetrennt.
    »Eine sehr starke Ähnlichkeit«, sagte Ando. »Das dachte ich schon, als ich den jungen Lord zum ersten Mal sah.« Er machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »In Hagi.«
    Ich verneigte mich bescheiden vor ihm. »Verzeihen Sie mir, Lord Ando, ich glaube nicht, dass wir das Vergnügen hatten, uns kennen zu lernen.«
    »Nein, wir haben uns nicht kennen gelernt. Ich sah dich lediglich mit Lord Otori und dachte, wie sehr du… der Familie gleichst.«
    »Er ist schließlich ein Verwandter.« Shigeru klang nicht im Geringsten beunruhigt durch dieses Katz-und-Maus-Spiel. Ich hatte keine Zweifel mehr. Iida und Ando wussten genau, wer ich war. Sie wussten, dass es Shigeru war, der mich gerettet hatte. Ich rechnete damit, dass sie augenblicklich unsere Verhaftung befehlen oder uns von den Wachen töten lassen würden, wo wir gerade saßen, zwischen dem Teezubehör.
    Shigeru bewegte sich ein wenig; ich wusste, dass er bereit war, mit dem Schwert in der Hand auf die Füße zu springen, wenn es dazu kommen sollte. Aber die monatelange Vorbereitung würde er nicht ohne weiteres aufs Spiel setzen. Die Spannung stieg im Saal, während die Stille sich vertiefte.
    Iidas Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Ich ahnte, welches Vergnügen ihm die Situation machte. Noch würde er nicht zuschlagen: Er würde noch ein bisschen mit uns spielen. Wir konnten nirgendwohin fliehen, wir waren mit nur zwanzig Männern tief im Tohangebiet und ständig unter Beobachtung. Ich bezweifelte nicht, dass Iida uns beide beseitigen wollte, doch er würde den Genuss auskosten, den alten Feind in seiner Gewalt zu haben.
    Jetzt ging er zur Hochzeit über. Unter der oberflächlichen Höflichkeit hörte ich Verachtung und Eifersucht. »Lady Shirakawa ist ein Schützling von Lord Noguchi gewesen, meinem ältesten und zuverlässigsten Verbündeten.«
    Er sagte nichts über Noguchis Niederlage durch Arai. Hatte er noch nichts davon gehört, oder glaubte er, wir wussten es noch nicht?
    »Lord Iida ehrt mich sehr«, erwiderte Shigeru.
    »Nun, es war Zeit, dass wir Frieden mit den Otori schließen.« Iida legte eine Pause ein, dann sagte er: »Sie ist ein schönes Mädchen. Ein unglücklicher Ruf haftet ihr an. Ich hoffe, das beunruhigt Sie nicht.«
    »Ich glaube, ihr Ruf ist unberechtigt«, antwortete Shigeru gelassen. »Und solange ich als Lord Iidas Gast hier bin, beunruhigt mich gar nichts.«
    Iida lächelte nicht mehr, er sah mürrisch aus. Ich nahm an, dass er von Eifersucht verzehrt wurde. Von seiner nächsten Bemerkung hätten ihn eigentlich Anstand und Selbstachtung abhalten sollen, doch grob sagte er: »Es gibt Gerüchte über Sie.«
    Shigeru zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
    »Ein langes Verhältnis, eine geheime Ehe«, stieß Iida hervor.
    »Lord Iida erstaunt mich«, antwortete Shigeru kühl. »Ich bin nicht jung. Es ist nur natürlich, dass ich viele Frauen gekannt habe.«
    Iida bekam sich wieder in die Gewalt und brummte eine Antwort, doch seine Augen funkelten vor Feindseligkeit. Mit oberflächlicher Höflichkeit wurden wir entlassen. Iida sagte lediglich: »Ich freue mich darauf, Sie in drei Tagen bei der Hochzeitsfeierlichkeit zu sehen.«
    Als wir zu den Otorimännern kamen, waren sie angespannt und schlecht gelaunt, nachdem sie den Spott und die Drohungen der Tohan ertragen hatten. Weder Shigeru noch ich sagten etwas, während wir durch die Straße mit ihren Stufen und durch das erste Tor ritten. Ich war damit beschäftigt, mir vom Grundriss des Schlosses so viel wie möglich einzuprägen, und in meinem Herzen glühten Hass und Zorn gegen Iida. Ich würde ihn töten aus Rache für die Vergangenheit, wegen seiner unverschämten Behandlung von Lord Otori - und weil er uns beide töten würde, wenn ich ihn in dieser Nacht nicht umbrächte.
    Die Sonne war eine wässrige Kugel im Westen auf unserem Weg zurück ins Gästehaus, wo Kenji uns erwartete. Im Zimmer bemerkten wir einen leichten Brandgeruch. In unserer Abwesenheit hatte er die Botschaften von Lady Maruyama vernichtet. Er musterte unsere Gesichter.
    »Takeo wurde erkannt?«
    Shigeru legte seine festlichen Gewänder ab. »Ich brauche ein Bad.«

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