Das Schwert in Der Stille
gebracht, wo sie in Iidas eigenem Wohnsitz bei den Frauen seines Haushalts bleiben würden. Lady Maruyamas Tochter lebte dort.
Kaedes Gesicht sah ich nicht, aber als sie davongetragen wurde, streckte sie kurz ihre Hand durch den Vorhang der Sänfte. Darin hielt sie die Rolle, die ich ihr geschenkt hatte, das Bild von meinem kleinen Bergvogel, von dem sie gesagt hatte, es lasse sie an Freiheit denken.
Ein leichter Abendregen fiel; er verwischte die Umrisse des Schlosses und glänzte auf Ziegeln und Pflastersteinen. Zwei Gänse flogen mit gleichmäßigem Flügelschlag über uns hinweg. Als sie verschwanden, hörte ich immer noch ihren traurigen Ruf.
Abe kam später mit Hochzeitsgeschenken und überschwänglichen Willkommensgrüßen von Lord Iida zu uns. Ich erinnerte ihn an sein Versprechen, mir das Schloss zu zeigen, plagte ihn mit Fragen und ertrug seine Späße, bis er sich bereit erklärte, die Besichtigung für den folgenden Tag zu arrangieren.
Kenji und ich gingen am Morgen mit ihm, und ich hörte pflichtbewusst zu und machte Skizzen, während zuerst Abe und dann, als es ihm zu langweilig wurde, einer seiner Gefolgsleute uns um das Schloss führten. Meine Hand zeichnete Bäume, Gärten, Ansichten, während Auge und Gehirn anderes in sich aufnahmen: den Grundriss des Schlosses, die Entfernung vom Haupttor zum zweiten Tor, Diamantentor genannt, vom Diamantentor zum inneren Burghof, vom inneren Burghof zum Wohnsitz. Der Fluss begrenzte die Ostseite; alle vier Seiten waren von Gräben umgeben. Und während ich zeichnete, hörte ich zu, stellte die sichtbaren und die verborgenen Wachtposten fest und zählte sie.
Das Schloss war voller Menschen: Krieger und Infanteristen, Hufschmiede, Pfeilmacher und Waffenschmiede, Pferdeknechte, Köche, Dienstmädchen und Gesinde sonstiger Art. Ich fragte mich, wohin sie alle bei Nacht gingen und ob es je still würde.
Der Gefolgsmann war redseliger als Abe; er prahlte begeistert von Iida und bewunderte naiv meine Zeichnungen. Ich skizzierte ihn rasch und gab ihm die Rolle. In jenen Tagen wurden nur wenige Bildnisse gemacht, und er hielt es ehrfürchtig wie einen magischen Talisman. Danach zeigte er uns mehr, als er sollte, auch die versteckten Räume, in denen immer Wachen stationiert waren, die falschen Fenster der Wachtürme und die Runden der Wachen in der Nacht.
Kenji sagte sehr wenig, außer dass er meine Zeichnungen kritisierte und hin und wieder einen Pinselstrich verbesserte. Ich überlegte, ob er mit mir kommen wollte, wenn ich bei Nacht ins Schloss ging. Einen Augenblick lang glaubte ich nichts ohne seine Hilfe tun zu können, im nächsten wusste ich, dass ich allein sein wollte.
Schließlich kamen wir zum Hauptturm, wurden hineingeführt, mit dem Hauptmann der Wache bekannt gemacht und durften die steile Holztreppe bis zum höchsten Stockwerk hinaufgehen. Die massiven Säulen, die den Hauptturm stützten, waren mindestens zwanzig Meter hoch. Ich stellte sie mir als Bäume im Wald vor, wie weit ihr Blätterdach reichen, wie dicht und dunkel ihr Schatten sein würde. Die Querbalken hatten noch die Krümmungen, mit denen sie gewachsen waren, als wollten sie sich aufrichten und wieder lebende Bäume sein. Ich spürte die Macht des Schlosses, als sei sie gegen mich gerichtet.
Von der obersten Plattform aus konnten wir unter den neugierigen Blicken der Mittagswachen über die ganze Stadt schauen. Im Norden ragten die Berge auf, die ich mit Shigeru überquert hatte, und dahinter erstreckte sich die Ebene von Yaegahara. Im Südosten lag Mino, mein Geburtsort. Die Luft war feucht und still, kaum ein Windhauch war zu spüren. Trotz der schweren Steinmauern und des kühlen, dunklen Holzes war es erstickend heiß. Auf den Gesichtern der Wachen glänzte der Schweiß, kein Wunder bei ihrer schweren und unbequemen Rüstung.
Aus den Südfenstern des Hauptturms sah man hinunter auf den zweiten, niedrigeren Turm, den Iida zu seinem Wohnsitz umgebaut hatte. Er lag über einer großen Festungsmauer, die fast unmittelbar aus dem Graben stieg. Jenseits des Grabens, auf der Ostseite, war ein Streifen Sumpfland, etwa hundert Meter breit, dann kam der tiefe, rasch strömende Fluss, der durch die Unwetter angeschwollen war. Über der Festungsmauer verlief eine Reihe kleiner Fenster, doch die Türen des Wohnsitzes lagen alle auf der Westseite. Anmutig geneigte Dächer überdeckten die Veranden und lenkten den Blick auf einen kleinen Garten, den die Mauern des zweiten Schlosshofs umgaben.
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