Das Schwert in Der Stille
Er lächelte, als würde er sich ein wenig von der Selbstbeherrschung befreien, die er geübt hatte. »Können wir offen reden, Takeo?«
Aus der Küche kamen die Geräusche der Dienstboten, die das Abendessen zubereiteten. Von Zeit zu Zeit überquerten Schritte den Weg, doch der Garten war leer. Ich hörte die Wachen am Haupttor und dann ein Mädchen, das mit Reis und Suppe zu ihnen ging.
»Wenn wir flüstern«, antwortete ich.
»Wir müssen uns beeilen. Komm näher, Kenji. Ja, er wurde erkannt. Iida ist voller Misstrauen und Angst. Er wird jeden Augenblick zuschlagen.«
Kenji sagte: »Ich bringe Takeo sofort weg. Ich kann ihn in der Stadt verstecken.«
»Nein!«, sagte ich. »Heute Nacht gehe ich ins Schloss.«
»Das ist unsere einzige Chance«, flüsterte Shigeru. »Wir müssen Iida zuvorkommen.«
Kenji schaute vom einen zum anderen und seufzte tief. »Dann komme ich mit dir.«
»Du warst mir ein guter Freund«, sagte Shigeru leise. »Du brauchst dein Leben nicht aufs Spiel zu setzen.«
»Ich tu es nicht für dich, Shigeru. Ich will ein Auge auf Takeo haben«, entgegnete Kenji. Zu mir sagte er: »Vor der Ausgangssperre schaust du dir besser noch einmal die Mauern und den Graben an. Ich gehe mit dir hinunter. Nimm deine Zeichensachen mit. Das Spiel des Lichts auf dem Wasser wird interessant sein.«
Ich suchte meine Sachen zusammen und wir gingen. Doch an der Tür, gerade bevor wir hinausgingen, überraschte mich Kenji, als er sich wieder Shigeru zuwandte und sich tief verneigte. »Lord Otori«, sagte er. Ich glaubte, er meine es ironisch; erst später wurde mir klar, dass es ein Abschied war.
Mein Abschied beschränkte sich auf die übliche Verbeugung, die Shigeru erwiderte. Hinter ihm lag der Garten im Abendlicht und ich konnte sein Gesicht nicht sehen.
Die Wolkendecke war dichter geworden. Es war feucht, aber nicht regnerisch, ein wenig kühler jetzt, da die Sonne untergegangen war, aber immer noch schwül und stickig. Auf der Straße drängten sich die Leute; sie nutzten die Stunde zwischen Sonnenuntergang und Sperrstunde aus. Ständig stieß ich mit jemand zusammen, und das machte mich ängstlich und beklommen. Überall sah ich Spione und Mörder. Das Treffen mit Iida hatte mich zermürbt und mich wieder in Tomasu verwandelt, den entsetzten Jungen, der aus den Ruinen von Mino geflohen war. Glaubte ich wirklich, in das Inuyamaschloss einsteigen und ihn töten zu können, ihn, den mächtigen Lord, den ich gerade gesehen hatte, der wusste, dass ich einer der Verborgenen war, der Einzige aus meinem Dorf, der ihm entflohen war? Ich konnte vorgeben, Lord Otori Takeo zu sein oder Kikuta - einer des Stamms -, doch in Wahrheit war ich keiner von beiden. Ich war einer der Verborgenen, ein Gejagter.
Wir gingen nach Westen, an der Südseite des Schlosses entlang. Als es dunkelte, war ich dankbar dafür, dass weder Mond noch Sterne am Himmel stehen würden. Fackeln leuchteten am Schlosstor, und die Läden wurden von Kerzen und Öllampen erhellt. Es roch nach Sesam und Soja, Reiswein und gegrilltem Fisch. Trotz allem war ich hungrig. Ich wollte schon stehen bleiben und etwas kaufen, doch Kenji schlug vor, ein wenig weiter zu gehen. Die Straße wurde dunkler und leerer. Ich hörte die Räder eines Fahrzeugs über Pflastersteine rumpeln; dann hörte ich Flötentöne. Daran war etwas unaussprechlich Geisterhaftes. In meinem Nacken sträubten sich warnend die Haare.
»Lassen Sie uns umkehren«, sagte ich, und in diesem Augenblick kam ein kleiner Umzug aus einer Gasse vor uns. Ich hielt die Leute für irgendwelche Straßenkünstler. Ein alter Mann schob einen Karren mit Dekorationen und Bildern darauf. Ein Mädchen spielte Flöte, ließ sie aber fallen, als sie uns sah. Zwei junge Männer kamen aus den Schatten mit Kreiseln, von denen sich einer drehte, der andere flog durch die Luft. Im Halblicht wirkten sie magisch, von Geistern besessen. Ich blieb stehen. Kenji war direkt hinter mir. Ein anderes Mädchen trat auf uns zu und sagte: »Kommen Sie und schauen Sie, Lord.«
Ich erkannte ihre Stimme, aber es dauerte einige Sekunden, bevor ich wusste, wer sie war. Dann sprang ich zurück, wich dabei Kenji aus und ließ mein zweites Ich bei dem Karren. Es war das Mädchen aus der Herberge von Yamagata, von dem Kenji gesagt hatte: »Sie ist eine von uns.«
Zu meiner Überraschung folgte mir einer der jungen Männer, ohne auf mein zweites Ich zu achten. Ich machte mich unsichtbar, doch er erriet, wo ich war. Da wusste ich
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