Das Schwert - Thriller
Schwert hat, und sie beobachten die Kirche. Dort können Sie ihn treffen und ihm sagen, dass seine Tochter noch lebt. Ich fahre Sie hin, mehr kann ich nicht tun. Ich bringe mich ohnehin schon in eine ziemlich prekäre Situation.«
»Warum wollen Sie mir überhaupt helfen?«
»Weil ich glaube, dass Sie die Wahrheit sagen. Weil ich gesehen habe, was mit Naomi passiert ist. Weil mein Bruder und mein Vater Soldaten sind, und sie haben mir immergesagt, trau keinem vom Geheimdienst. Weil ich mit dem Mann zu tun hatte, bei dem Jack letzte Woche hier in der Botschaft gewesen ist, und ich finde, er ist ein Arschloch. Und jetzt fahren wir zum Krankenhaus und schauen, wie es Naomi geht.«
36
Vesper
St. Sergius
Schubra al-Chaima
Früher Abend
Georgina begleitete Samiha in die Kirche. In ihrem ganzen bisherigen Leben hatte Samiha kein christliches Gotteshaus betreten. Sie war in der Überzeugung aufgewachsen, dass an diesen Orten Satan verehrt wurde; Götzen wachten über einem Altar, an welchem der Priester Blut trank, so, wie die Juden das Mehl für ihr Passahbrot mit dem Blut hingeschlachteter Kinder mischten. Wäre nicht Georgina gewesen, die ihr einen aufmunternden Schubs versetzte, hätte sie niemals gewagt, den Fuß über die Schwelle zu setzen.
Durch das Portal an der Westseite traten sie in den menschenleeren Narthex, durch drei wundervoll geschnitzte Türen vom Kirchenschiff abgetrennt. Dahinter war Gesang zu vernehmen. Der Kantor intonierte ein Schirat für den Monat Kiahk.
Heil dir, voller Gnaden, unbefleckte Jungfrau, von Gott erwähltes Gefäß aller Welt.
Nie gelöschte Lampe, Stolz der Jungfräulichkeit, unzerstörbarer Altar und Zepter des Glaubens.
Der Text war koptisch, das weder Samiha noch Georgina verstanden. Die Musik war vermutlich die älteste der Welt, überliefert aus der Zeit der Pharaonen und von den frühen Christen mit neuen Worten versehen. Die Stimme des Kantors hob und senkte sich skandierend, artikulierteden uralten Lobpreis Silbe um Silbe. Dann sang die Gemeinde. Spezereienduft zog durch die filigran geschnitzten Türen: Weihrauch, Myrrhe, Sandelholz und Ambra.
Georgina, die noch nie eine Messe nach koptischem Ritus erlebt hatte, war neugierig.
»Kommen Sie, wir gehen hinein und setzen uns ganz hinten hin«, sagte sie und steuerte auf die nächste Tür zu.
Samiha zögerte. Das Singen war ihr unheimlich und auch der schwere, süßliche Geruch, aber Georgina nahm sie bei der Hand und zog sie mit ins Kirchenschiff.
Dort stand sie überwältigt, eingeschüchtert inmitten einer nie geahnten Pracht, einem Flimmern von Gold und Silber, einem Strahlen von Engelsflügeln und Heiligengesichtern. Sie glaubte sich in eine andere Welt versetzt. Für Weihnachten hatte man den Raum mit bunten Lichterketten geschmückt und vor der Ikonostasis, die den Gemeinderaum vom Allerheiligsten und den Altären trennte, eine Krippenszene aufgebaut.
Niemand nahm Notiz von ihnen, als sie in die hinterste Bank auf der Frauenseite rutschten. Georgina hatte das Gefühl, unpassend gekleidet zu sein. Während des Gottesdienstes mussten die Gläubigen oft und lange stehen, manchmal setzten sie sich hin oder knieten. In der Vesperliturgie gab es keine Pause, sie stimmte ein auf die Mitternachtsmesse, die bis 4.00 Uhr morgens dauern würde.
Zu guter Letzt erteilte Vater Joseph den Gläubigen die Absolution. Die Diakone und Messdiener begaben sich in den Altarraum; er blieb vor der Ikonostasis stehen und verabschiedete seine Schäfchen. Georgina und Samiha warteten. Endlich wandte er sich um und kehrte ins Allerheiligste zurück, wo er und seine Diakone unter Gebeten die liturgischen Geräte versorgten und alles für die Mitternachtsmesse herrichteten. Sie waren jetzt schon müde, und viele Stunden lagen noch vor ihnen.
Vater Josephs Helfer verließen die Kirche durch den Nebenausgang, nur er nahm den Weg durchs Kirchenschiff. Er hatte die beiden Frauen bemerkt und dachte, sie wären geblieben, um zu beten oder die Beichte abzulegen. Er konnte sich nicht erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben, und das war merkwürdig, denn ein koptischer Priester ist stets Beichtvater der gesamten Familie und kennt sämtliche Mitglieder seiner Gemeinde.
»Kann ich den Damen behilflich sein?«, erkundigte er sich auf Arabisch.
Samiha starrte ihn an, sie brachte kein Wort heraus. Georgina übernahm das Reden.
»Sprechen Sie Englisch?«, fragte sie. »Ich fürchte, mein Arabisch reicht nicht sehr weit. Es ist beschämend, ich
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