Das Schwert - Thriller
»Ihre Mutter hieß Emilia.«
Georgina begann zu tippen.
Es dauerte ungefähr fünf Minuten. Als sie vom Bildschirm aufblickte, hatten ihre Augen den freundlichen Ausdruck von vorhin verloren.
»Würden Sie mir vielleicht verraten, was das alles zu bedeuten hat?«, fragte sie.
»Ich habe es Ihnen doch gesagt. Es gab einen Unfall ...«
»Sie haben mich von Anfang an belogen. Wann hat Professor Goodrich Kairo verlassen?«
»Vor fast einer Woche. Er müsste bald zurückkommen.«
»Wie ist seine Adresse? Als Freundin der Familie müssten Sie ihn das ein oder andere Mal zu Hause besucht haben.«
Samiha konnte nicht antworten. Ihr wollten keine Lügen mehr einfallen.
Georgina fuhr erbarmungslos fort.
»Vielleicht interessiert es Sie, zu erfahren, dass Professor Jack Goodrich vergangenen Donnerstag zu einer Unterredung hier in diesem Gebäude gewesen ist? Wie es aussieht, erzählte er eine hanebüchene Geschichte über ein Schwert, behauptete, Leute zu kennen, die ihn nie im Leben gesehen hatten, und verlangte, mit jemandem von unserem Geheimdienst zu sprechen. Und das ist bei weitem nicht alles. Dem Anschein nach halten sich zwei britische Polizeibeamte in Kairo auf, die den Professor verhaften wollen. Man beschuldigt ihn des siebenfachen Mordes, unter anderem soll er seine eigenen Eltern umgebracht haben. Es wird nach ihm gefahndet. Und ich glaube, Sie sind in die ganze Sache verwickelt. Ich glaube, er hat seine Tochter misshandelt, und Sie decken ihn. Alles andere, was Sie mir aufgetischt haben, waren Lügen.«
Samiha hielt sich die Ohren zu, um die auf sie niederprasselnden Beschuldigungen nicht hören zu müssen. Sie verschloss die Augen gegen das Licht, das ihre Schande offenbarte. Tränen quollen zwischen den zusammengekniffenen Lidern hervor. Sie versuchte, sie zurückzuhalten, aber vergeblich, und im nächsten Moment wurde sie von einem tiefen, krampfhaften Schluchzen geschüttelt, die Tränen brachen sich Bahn, und sie weinte vor Kummer und Einsamkeit und auch wegen des furchtbaren Wissens, das sie mit sich herumtrug: über Mohammed al-Masri und die Schreckenstat, die er plante.
Georgina machte keine Anstalten, sie zu trösten. Samihas Weinen rührte sie nicht; sie fragte sich nur, wie tief diese Frau wohl in die Morde verstrickt war. Ihr Mitleid galt einzig Naomi, deshalb wartete sie ab, was Samiha nun zu sagen hatte.
Es dauerte lange, bis Samihas Schluchzen abebbte. Zu guter Letzt war sie so erschöpft, dass ihre Tränen versiegten. Sie schaute Georgina aus rotgeränderten Augen an. Sie hatte alles vergessen: wer sie war, wo sie war, wohin ihr Leben und ihre Kinder verschwunden waren. Sie war hohl, eine leere Hülle, die einst ein menschliches Wesen enthalten hatte; eine Mutter ohne Söhne, eine Gattin ohne Mann, eine Muslima ohne Glauben, eine Frau ohne Hoffnung.
Sie begann zu reden. Erzählte alles, von jenem ersten Tag in Dschenin bis zu diesem Augenblick. Der Sprengstoffgürtel, den man ihr angelegt hatte, Nabil und Adnan, die Fahrt nach Israel und weiter nach Kairo, ihre Begegnung mit Naomi, ihre Flucht.
Anfangs hörte Georgina nur mit halbem Ohr zu. Da war eine Party, zu der sie gehen musste, Diplomaten wollten betreut werden, örtliche Würdenträger umschmeichelt, und sie hatte die Nase voll von Samiha und ihren Versuchen, sie für dumm zu verkaufen. Doch je weiter die Geschichte fortschritt, desto aufmerksamer lauschte sie. Nach ungefähr der Hälfte begriff sie die Fehleinschätzung, die ihr unterlaufen war.
Ihr Bruder Ben hatte im Irak gedient, beim Ersten Bataillon des Staffordshire-Regiments. Nach Beendigung seiner Dienstzeit hatte man ihm Urlaub gewährt, um die Verwundungen auszukurieren, die er bei einem Feuergefecht in Basra davongetragen hatte, und er war nach Hause gekommen, nach Akenside, dem Landsitz der Familie in Needwood Forest. Sie hatte ebenfalls eine berufliche Auszeit genommen, weil sie ihm Gesellschaft leisten wollte, und einigeWochen dort mit ihm verbracht: ihm beim Angeln im Trent zugeschaut, Brassen und Karpfen fürs Abendessen nach Hause getragen, in der Bibliothek lange Gespräche mit ihm geführt, am Mittagstisch für heiteres Geplauder gesorgt, zugehört, wenn er vom Krieg erzählte.
In den ersten zwei Wochen hatte er ihr und ihren Eltern immer dasselbe Lied gesungen. Von seinen – leichten – Blessuren abgesehen, war für ihn im Irak alles bestens gewesen. Er lobte den Kampfgeist des Regiments, die Kameradschaft zwischen Offizieren und Mannschaften, die
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