Das Schwert - Thriller
neue Oberhaupt der al-Qaida, Nachfolger von Osama bin Laden, und Malcolms Aufgabe bestand darin, ihn bei Laune zu halten, dafür zu sorgen, dass Großbritannien nicht auf die Liste der Ziele für Terroranschläge gesetzt wurde.
Wie zuvor war er zu einem Punkt in der Nähe des Chan al-Chalili gefahren, Kairos riesigem überdachten Markt in unmittelbarer Nachbarschaft von Esbekija. Von dort hatte ihn der Führer durch ein Labyrinth immer enger werdenden Gassen gelotst, vorbei an baufälligen, altersschwachen Häusern mit Holzgitterfenstern und umwittert vom Modergeruch der Jahrhunderte und aus Lehmziegeln erbauten Hütten, die allmählich zu Staub zerfielen. Sie betraten das Gelände der Al-Aschar durch das Tor der Barbiere und gelangten auf einen weitläufigen, auf allen Seiten von Kuppeln und Minaretten – einige mit Flutlicht angestrahlt – flankierten Platz. In zwei Tagen feierte man nach islamischem Kalender das neue Jahr. Es herrschte eine festliche Atmosphäre.
Hier, mehr als an irgendeinem anderen ihm bekannten Ort der Stadt, fühlte Malcolm sich umweht vom Atem des Orients, inmitten einer Bilder- und Geräuschkulisse geradewegs aus dem Mittelalter. Dies war die älteste Universität des Erdenkreises, der bedeutendste Sitz der Gelehrsamkeit der islamischen Welt, ein unübersichtliches Mosaik kleiner Innenhöfe, Gebetshallen und Unterrichtsräume, wo Wissenschaft und Frömmigkeit Seite an Seite existierten und manchmal aufeinanderprallten.
»Dies ist der Riwaq al-Scham«, erklärte sein Führer. »Der Syrische Portikus.« Malcolm empfand eine Aversion gegen ihn, die er zu verbergen suchte. Der Mann trug einen billigen Anzug mit ausgefransten Jackenärmeln, dazu ein bis zum Hals zugeknöpftes Hemd ohne Krawatte, wie es im Iran gebräuchlich war. Sein Gang wirkte staksig, und Malcolm versuchte sich einzureden, es wäre diese leichte Behinderung, nicht die Aura der Armut, die ihn abstieß. Nicht, dass der Mann ihm mit übermäßiger Freundlichkeit begegnet wäre.
Er ging vor Malcolm her ein paar Stufen hinauf undklopfte an eine Tür auf halber Länge eines schmalen Korridors. Von drinnen antwortete eine Stimme.
»Komm«, sagte der Führer auf Englisch. Malcolm bemerkte, dass er sich wiederholt die entzündeten Augen rieb. Er unterließ es ostentativ, ihm die Hand zu reichen, als der Mann sich zum Gehen wandte. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen, dass dieser sich ohnehin geweigert hätte, ihn zu berühren, weil für ihn alle Ungläubigen unrein waren.
In dem Zimmer erwartete ihn ein Mann von schätzungsweise dreißig Jahren in der Tracht eines Religionsgelehrten. Er saß hinter einem Schreibtisch, dessen glänzende Mahagoniplatte vollkommen leer war bis auf ein genau in der Mitte platziertes grüngebundenes Buch mit geprägten goldenen Schriftzeichen. Purvis nahm an, es wäre ein Koran, verkniff sich jedoch eine diesbezügliche Bemerkung, um ja keinen unverzeihlichen Fauxpas zu begehen. In Sachen Koran konnte man nicht vorsichtig genug sein, dachte er.
An der Wand hingen mehrere Beispiele für arabische Kalligraphie und ein Porträtfoto. Malcolm erkannte das Gesicht sofort: Hadschi Amin al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem und ein international gesuchter Kriegsverbrecher. Er schwieg auch dazu. Je nachdem, in welcher Gesellschaft man sich befand, war Husseini ein ebenso brisantes Gesprächsthema wie der Koran.
»Mr. Purvis. Wie schön, Sie wiederzusehen.« Raschid al-Masri stand weder auf, noch machte er Anstalten, seinem Besucher die Hand zu reichen.
»Bitte, nehmen Sie Platz. Ich bleibe hier sitzen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Man hat hier nicht viel Bewegungsspielraum: Die Al-Aschar repräsentiert ein anderes Zeitalter und andere Bedürfnisse.«
Der Raum war eng und düster, erleuchtet von einer einzelnen Tischlampe in der Ecke sowie einem Rinnsal restlichemtrüben Tageslichts, das durch ein kleines Fenster sickerte. Trotz der kühlen Witterung wurde offenbar nicht geheizt. Malcolm, im Begriff den Mantel auszuziehen, überlegte es sich anders.
»Ich lasse Kaffee bringen.« Diesmal kam Raschid hinter dem Schreibtisch hervor. Er öffnete die Tür, steckte den Kopf hinaus und bellte einen Namen oder einen Befehl, Malcolm wusste nicht, was. Gleich darauf kam ein kleiner Junge angelaufen. Ein paar Worte, dann stob er wieder davon.
Raschid kehrte zurück zu seinem Platz.
»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, sagte er. »Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar. Bitte entschuldigen Sie mein
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