Das Schwert - Thriller
Nachlässigkeit verwildert, das Gras verdorrte, und schließlich wurde der größte Teil des Areals zubetoniert. Erhebliche Bereiche waren abgesperrt.
Die Rückseite von Mehdis Ladengewölbe, Dar al Kutub al Manar, lag in einem schmalen, hauptsächlich von Wohnhäusern gesäumten Sträßchen. Fenster gab es erst im zweiten Stockwerk, altmodische Gitter aus gedrehten Holzstäben, Maschrabijas , hinter denen die Frauen auf die Straße hinunterschauen konnten, ohne ihrerseits gesehen zu werden. Parterre versperrte ein nüchternes Holztor den Zugang zum Grundstück.
Zwei Jungen von ungefähr zehn Jahren, also etwa so alt wie Jacks Tochter Naomi, spielten Fußball mit einem zusammengeschnürten Bündel Lumpen. Einer der beiden zeigte echtes Geschick, und sein kleiner Freund, flink wie er war, hatte Mühe, ihm Paroli zu bieten.
»Für wen wollt ihr spielen, wenn ihr groß seid?«, fragte Jack. Jeder Junge in jeder Gasse, jeder abgerissene Bengel, der versuchte, einem ein Päckchen alte Marlboros aufzudrängen, jeder selbsternannte halbwüchsige Touristenführer bei den Pyramiden hegte einen einzigen Traum, nämlich Profi-Fußballer zu werden. Selbst in den heruntergekommensten Hinterhöfen widmete man sich hingebungsvoll dem herrlichen Spiel. Aus Ehrgeiz, aus Hunger, aus Verzweiflung.
»Zamalek«, rief der Junge zurück, ohne den Blick von dem Ball abzuwenden.
»Ich bin ein Fan von Ahly.« Jack lächelte. Der Junge schoss ein Tor, schniefte und zeigte ihm den ausgestreckten Mittelfinger.
»Warte ab, was am Samstag im Stadion passiert«, sagte Jack. »Ahly wird Zamalek eine Lektion erteilen. Ihr müsst aufpassen, was ihr neuer Trainer macht. Vingada. Er ist ein Genie. Ich erwarte große Dinge.«
»Ich kann mir das Spiel nicht anschauen«, antwortete der Junge. »Ich hab kein Geld, nicht fürs Stadion und für gar nichts. Verfluchter Ausländer, was denkst du? Ich bin noch nie da gewesen und komme auch nicht hin, außer man holt mich zu Zamalek.«
Jack griff spontan in die Tasche und zog ein Bündel Banknoten heraus, ägyptische Pfund.
»Hier.« Er drückte dem Jungen mit den goldenen Füßen das Geld in die Hand. »Das ist für euch beide. Für Eintrittskarten zum Spiel an diesem Samstag, vielleicht auch noch am nächsten, wenn ihr’s nicht für Süßigkeiten ausgebt.Wenn Zamalek gewinnt, kriegt ihr auch Tickets für die übernächste Woche. Wie heißt du?«
»Darsch.«
Jack nickte.
»Und du?«, wollte Darsch wissen.
»Ich? Ich heiße Jack. Na, ich muss weiter. Viel Spaß bei dem Spiel.«
Er ging an mehreren Türen vorbei bis zu der von Mehdi, einer schmalen, grün gestrichenen Pforte; dahinter führte eine ebenso schmale Treppe ins obere Stockwerk.
Mehdi erwartete ihn in einem Zimmer voller Bücher. Antiquarische Bücher, überwiegend Lithographien, und vielleicht hundert gebundene Handschriften.
Der Ägypter schien sich kaum verändert zu haben. Jack schätzte sein Alter auf irgendwo zwischen siebzig und neunzig, der alte Herr aber schien sich nicht danach richten zu wollen und sah so frisch und munter aus wie ein Sechzigjähriger. Er trug die traditionelle knöchellange Galabija und einen eng gewickelten Turban als Zeichen seiner Zugehörigkeit zu der Klasse gelehrter Männer und religiöser Führer. Bei Jacks Eintritt erhob er sich.
» Ahlan, ahlan. Willkommen. Wie geht es dir? Befindest du dich wohl? Wie ist das Befinden deiner Familie?«
Goodrich ergriff lächelnd die Hand des alten Herrn.
»Gott sei gelobt«, antwortete er. »Mir geht es gut. Meiner Frau geht es gut. Meiner Tochter geht es gut. Wie geht es dir?« Er unterließ es, sich nach Mehdis Frau und Familie zu erkundigen; damit hätte er sich einer groben Unhöflichkeit schuldig gemacht.
Nach der Begrüßung zog Jack die Schuhe aus und stellte sie beiseite. Der Buchhändler reichte ihm ein Paar leichte Pantoffeln, zum Schutz seiner erlesenen Perserteppiche.
»Ich habe frischen Tee zubereitet. Komm und trink eine Tasse. Du wirst durstig sein.«
Eine mit frischen Minzeblättern gefüllte Teekanne stand auf Mehdis Schreibtisch. Daneben wartete ein Teller mit kleinen süßen Kuchen.
Genau, was meiner Bauchspeicheldrüse fehlt, dachte Jack, die großen Klumpen weißen Zuckers vor Augen, die, wie er wusste, neben der Minze den Weg in die Kanne gefunden hatten.
Sie tranken aus persischen Teegläsern, selten und wertvoll. Mussas Großvater hatte sie – wie auch die Teppiche – von seinem guten Freund, dem persischen Botschafter, erhalten, in
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