Das Schwert - Thriller
den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts.
Die heiße Flüssigkeit mischte sich in Jacks Blutkreislauf und trieb seine Zuckerwerte in schwindelnde Höhen, gleichzeitig wirkte sie unglaublich beruhigend. Er merkte, dass er den ganzen Tag bereits unter einer starken inneren Anspannung gestanden hatte, lange bevor die erste Bombe hochging. Er und Emilia hatten sich gestern Abend gestritten, und das machte ihm zu schaffen. Er wusste nicht genau, ob wirklich alles wieder im Lot war. Bei Emilia konnte man nie ganz sicher sein. Irgendwann würden sich die Wolken verziehen, das stand fest. Sie liebten sich, und es gab kaum einmal Unstimmigkeiten zwischen ihnen, und wenn, dann nie für lange.
»Du kommst mir nachdenklich vor, mein Freund.« Mehdi schenkte Tee nach.
»Es tut mir leid. Diese Bombenattentate heute – ich mache mir Sorgen. Was, wenn sie die Botschaft angreifen, während Emilia dort ist? Wenn jemand sich in die Ewigkeit katapultiert, während Naomi vorbeigeht?«
Naomi war vor neun Jahren in London zur Welt gekommen. Neuerdings wuchs sie in einem rasanten Tempo von fünf Zentimetern pro Tag, wenigstens sah es so aus. Sie hatten sie in einer britischen Schule in Zamalek angemeldet, von ihrer Wohnung in Garden City aus nur ein kurzesStück die Corniche hinunter. Heute war Jack an der Reihe, sie abzuholen: Sie hatte später als üblich Schluss, weil sie für ihre Musikprüfung üben musste, und es würde fast dunkel sein, bis sie fertig war. Vor einiger Zeit hatte sie beschlossen, Ud spielen zu lernen, ein Saiteninstrument und Vorläufer der Laute. Zur Freude und auch zum Erstaunen ihrer Eltern verwandelte ihr Kind sich in eine kleine Ägypterin. Sie sprach bereits fließend Arabisch und zu ihren Freunden gehörten mehr Ägypter als Briten oder Amerikaner. Doch ihre Herkunft und ihre helle Haut machten sie zu einem Ziel für Extremisten.
»Ich verstehe.« Mehdi nickte. »Wir alle sind besorgt. Das ist ganz natürlich. Aber sinnlos. Davon verschwinden die Bombenleger nicht.«
»Sollen wir herumlaufen und so tun, als wäre nichts?«
»Habe ich das gesagt? Jack, sicherlich erinnerst du dich an die Geschichte von Asrael, dem Engel des Todes, wie er auf dem Basar von Samarkand einem Mann mit Namen Abu Hamsa begegnete? Der Mann sah ihn und erschauerte, als der Engel sich umwandte und ihn anschaute, mit einem Blick, der jedem Menschen das Blut in den Adern hätte stocken lassen.
Doch zu Abu Hamsas Erstaunen wandte der Engel sich wieder ab und setzte seinen Weg fort.
Später am selben Tage traf Abu Hamsa, als er auf der Straße fürbass ging, einen Dschinn, und der Dschinn fragte ihn, wohin er gebracht zu werden wünschte. Er antwortete darauf ›Bagdad‹, weil er nämlich hoffte, zum einen dem Todesboten zu entschlüpfen und zum anderen das lebhafte Treiben in der Stadt des Herrschers zu genießen. Im Nu fand er sich im prächtigen Thronsaal des Kalifen Harun wieder, aber wen sah er neben dem Thron stehen und ihn verlangend betrachten, als wiederum den Engel des Todes, Asrael mit dem schwarzen Antlitz?«
Jack vollendete die ihm seit langem bekannte Geschichte: »Und der Engel näherte sich Abu Hamsa und sagte zu ihm: ›Ich war erstaunt, dich heute Morgen in Samarkand zu treffen, Gott hatte mir doch aufgetragen, an diesem Abend in Bagdad nach dir auszuschauen ...‹«
Mehdi lächelte und leerte sein Glas. Er stellte es auf den Intarsientisch und seufzte.
»Nun wohl«, sagte er, »ich möchte dir etwas zeigen.«
»Aber ich habe nicht viel Zeit«, antwortete Jack. »In ungefähr einer Stunde muss ich Naomi von der Schule abholen.«
Mehdi zog eine kleine hölzerne Gebetskette aus der Tasche und begann, eine Perle nach der anderen über den Zeigefinger zu schieben. Er ist wegen etwas beunruhigt, dachte Jack. Einige Minuten lang herrschte Schweigen im Raum.
»Jack«, sagte der alte Herr endlich, »sag mir, was würdest du geben für einen Fund, welcher die Krönung deiner Laufbahn wäre? Mehr als das, für einen Fund, der geeignet wäre, die halbe Welt in Aufruhr zu stürzen und sie vielleicht zu verändern?«
Jack lachte, ein wenig nervös.
»Den sprichwörtlichen Arm und ein Bein. Oder vielleicht nur meinen rechten Arm. Oder einige Jahre meines Lebens möglicherweise. Wenn ich reich wäre, dann würde ich dir jeden Preis zahlen, den du forderst. Welchen Wert soll diese Entdeckung denn haben?«
Mehdi ging auf seinen leichten Ton nicht ein.
»Wenn du siehst, was ich dir zeigen will, wirst du begreifen. Ich habe
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