Das Schwert - Thriller
überrascht, als er sich zu seiner Retterin herumdrehte, eine von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Schleier gehüllte Gestalt vor sich zu sehen, die überdies in genau diesem Moment die Pistole in den Falten des formlosen Gewands verschwinden ließ und dann eine dunkle Sonnenbrille aufsetzte.
»Zum Glück trägst du eine Galabija«, meinte sie. »Spiel den typischen ägyptischen Ehemann. Ich gehe als dein treues Weib ein paar Schritte hinter dir, und lass dir um Gottes willen nicht einfallen, meine Hand zu halten. Denk daran, du bist wieder in Kairo.«
»Wie könnte ich das vergessen.«
»Geh in Richtung des Midan , aber halt das erste freie Taxi an, das du siehst.«
»Was ...?«
»Sei still und hör mir zu. Die Typen eben, das waren nicht die Einzigen, die es auf uns abgesehen haben. Ihre Kollegen sind noch da, und wir müssen sie abhängen. Du hast den Knaben gehört – sie glauben, du hast das Schwert oder weißt, wo es ist. Einige ihrer besten Leute sind heute Nacht auf der Jagd. Sobald das Taxi am Straßenrand hält, sag dem Fahrer, wir wollen zu den Grabstätten der Mamelucken. Er soll ohne Umwege zum Schafi’i Mausoleum fahren. Sag ihm, du willst nicht, dass er noch andere Fahrgäste mitnimmt, deine Frau duldet nicht, dass irgendein Mann, der nicht ihr Gatte ist, neben ihr sitzt. Man hat mir versichert, dein Arabisch wäre gut. Wenn es nicht gut genug ist, sag’s mir jetzt.«
»Ya marati« , sagte er statt einer Antwort, » tascharrafna . Erfreut, deine Bekanntschaft zu machen, Frau.«
Sie lachte, ein helles, perlendes Lachen, das ihn stutzen ließ. Zum ersten Mal ahnte er, was für eine Person möglicherweise in der schwarzen Hülle steckte. Nach der Kaltblütigkeit, mit der sie in der Gasse die beiden Gegner ausgeschaltet hatte, und ihrer energischen Stimme war dieses Lachen eine Überraschung. Und es war faszinierend, dass sie Scheherazade hieß – oder sich so nannte –, nach der Prinzessin aus Tausendundeinernacht, die ihr Leben rettete, indem sie Sultan Scharijâr jede Nacht ein anderes Märchen erzählte.
Ein schwarzweißes Taxi rollte langsam vorbei, auf der Suche nach Fahrgästen. Jack streckte den Arm aus und wollte eben ihren Zielort rufen, wie es üblich war, aber Scheherazade hielt ihn fest und stieß ein warnendes Zischen aus.
»Halt den Mund, um Gottes willen. Wer weiß, ob nicht einer von denen in der Nähe ist und uns hört.«
Also beschränkte Jack sich darauf, zu winken. Das Taxihielt trotzdem, und Jack erklärte dem Fahrer, wo sie hinwollten.
»Gern, yafandim . Steigen Sie ein.«
Als sie im Fond Platz nahmen, schaltete der Fahrer das Radio aus und damit den neusten Hit des Popidols Amr Diab. Dicht verschleierte Frauen und ihre Ehemänner waren aller Wahrscheinlichkeit nach keine Freunde von Musik, gleich welcher Art. Die Taxifahrer Kairos verachten Stadtpläne und müssen oft anhalten, um Passanten, die ebenfalls nie einen Stadtplan gesehen haben, nach dem Weg zu fragen, aber sie besitzen die Gabe, mit einem Blick ihre Passagiere einzuschätzen, und passen ihr Verhalten deren Vorlieben, Persönlichkeit und Glauben an.
Sie reihten sich in den Verkehrsstrom ein. Ein Mann an einer Imbissbude notierte das Kennzeichen des Taxis, bevor es in der Nacht verschwand, und als zusätzliches Merkmal, dass die hintere Stoßstange des Wagens fehlte.
Die Fahrt verlief schweigend nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen des Fahrers, mit Jack ins Gespräch zu kommen. Sie fuhren auf der Qasr al-’Ajni in Richtung Süden, rechterhand zog Garden City vorüber, mit den darin eingebetteten Botschaftsgebäuden (dahinter der Nil, aber unsichtbar). Weiter ging es an Roda Island entlang, bis sie scharf nach Osten abbogen auf die Majra al-’Ujun, die Straße zur Unterwelt.
Südfriedhof
Kairo
23.40 Uhr
Am Himmel über ihnen tanzten im Licht des zunehmenden, fast vollen Mondes Sterne wie funkelnde Sandkörner zu unhörbarer Musik. Im Herzen der Stadt beobachteten Astrologen die Konstellationen in dieser Nacht mit derselbenAufmerksamkeit wie schon seit uralter Zeit. Jack vertraute weder dem Himmel noch den Menschen. Was er früher einmal an Vertrauen gehabt haben mochte, verschwommen und alles andere als felsenfest, war in den vergangenen Monaten erstorben. Er empfand keinen Schmerz deswegen, sondern nur eine Leere in seinem Innern, die weder die funkelnden Sterne noch der zum Greifen nah erscheinende gelbe Mond auszufüllen vermochten.
Die riesige Nekropole im Süden Kairos, über Jahrhunderte
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