Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
vorbeigingen. Unsere Hütte lag am Dorfausgang. Morgens fiel der Schatten des Kirchturms über unseren Garten und den Hof, auf dem wir Hühner und zwei Ziegen hielten. Im Sommer folgten ihm die Tiere, bis sie der Reißigzaun, der unseren Hof von dem des Viertelhufers Klaus trennte, aufhielt. Klaus hatte sich sein Erbe mit drei anderen Brüdern teilen müssen und galt als der ärmste Bauer in ganz Winetre.
Ich zog die Tür unserer Hütte auf und schob den Wollvorhang dahinter zur Seite. Viehgeruch schlug mir entgegen. Eine Ziege meckerte leise. Ich hörte das Schnarchen meiner Mutter.
»Mama?«, fragte ich, während ich mich vorsichtig über das Stroh in den dunklen Raum tastete. Ich hatte Angst, auf ein Ei zu treten, das eines der Hühner vielleicht am Tag gelegt hatte.
Meine Mutter antwortete nicht.
»Lass sie schlafen«, flüsterte Trudchen. »Sie kann morgen früh essen.«
Ich streckte die Hand aus und fand einen der Stricke, die vom Dachbalken hingen. Ich knotete den Beutel daran fest, damit die Mäuse das Brot nicht annagten. Stroh raschelte, als sich Trudchen und Hilde hinlegten. Ich kratzte neben ihnen etwas davon zusammen und legte mich ebenfalls hin. Sie schliefen, noch bevor ich mich ganz ausgestreckt hatte. Ich lauschte ihren Atemzügen und fragte mich, was ich ihnen am nächsten Tag sagen würde. Meine Augenlider wurden schwer. Ich …
… schreckte hoch, saß plötzlich aufrecht im Stroh, als hätte mich etwas im Schlaf gestochen. Doch ich spürte keinen Schmerz, nur Unruhe. Trudchen seufzte neben mir und drehte sich auf die Seite. Die Stelle, an der mein Körper den ihren berührt hatte, wurde kalt.
Du wirst gehen!
Die Worte standen so klar in meinem Geist, dass ich mich fragte, ob es Gott selbst gewesen war, der mich mit ihnen aus dem Schlaf gerissen hatte. Er sprach manchmal direkt zu den Menschen, wenn ihm etwas wichtig war, das wusste ich. Er hatte einmal Bauer Markus verboten, eine Kuh zu schlachten, und sie hatte tatsächlich kurz darauf ein Kalb geboren, obwohl sie nicht trächtig gewesen war. Wenn Gott nun wollte, dass ich meine Söhne sah, dann …
Ich wagte es beinahe nicht, den Gedanken zu vollenden. Mein Herz schlug so schnell, dass mir übel wurde. Hatte ich nicht seinem Befehl zu folgen, so wie es sein Sohn, unser Herr getan hatte, so wie es all die Heiligen getan hatten und die Büßer, die ihren weltlichen Besitz hinter sich ließen und wie Vieh von dem lebten, was er ihnen schenkte? Gott stand über dem Schultheiß, über dem Grafen, sogar über dem König. Er war mein oberster Herr, kein anderer, schon gar nicht Karl der Kleine.
Ich richtete mich auf die Knie auf, zog den Wollumhang eng um meine Schultern und begann leise zu beten. Ich lauschte auf eine Stimme in mir, auf ein Wort, ein Zeichen, irgendetwas. Doch da war nur Stille. Was auch immer zu mir gesprochen hatte, war verschwunden.
Nach einer Weile begannen meine Knie zu schmerzen, also stand ich auf. Stroh fiel raschelnd zu Boden. Eine Maus quiekte in der Dunkelheit. Es war kalt in der Hütte. Bevor ich begriff, was ich tat, zog ich bereits den Vorhang zurück und öffnete die Tür.
Die Nacht war sternenklar und wolkenlos. Ich trat einen Schritt nach draußen und spürte kühlen Lehm unter meinen Fußsohlen. Alles wirkte seltsam gedämpft, als sei es nicht Wirklichkeit, sondern ein Traum.
Ich drehte den Kopf und sah zurück in die Hütte, erwartete schon, mich dort schlafend liegen zu sehen. Doch die Stelle neben Trudchen war leer, das Stroh zerwühlt. Ich wollte mich abwenden, als Hilde den Kopf hob. Ihr Blick traf den meinen. Im Mondlicht wirkte ihr Gesicht so rein und weiß wie die Gesichter der Heiligen, deren Bilder in der Kirche hingen.
Ich lächelte sie an. Sie sah ernst zurück, ließ den Kopf sinken und drehte sich auf die Seite.
Leise schloss ich die Tür. Das Dorf lag still und schlafend vor mir. Ich ging den breiten Weg an den Hütten vorbei, deren Schatten hart und scharf in die Nacht stachen, machte dann jedoch einen Umweg durch die Gärten, um nicht am Friedhof vorbei zu müssen. Das letzte Herbstlaub knisterte bei jedem Schritt unter meinen Füßen.
Durch die Lücken zwischen den Hütten sah ich die Kirche, den Brunnen und dann den Pranger. Gott allein würde entscheiden, ob ich daran endete. Ich versuchte nicht daran zu denken.
Das Dorf wirkte fremd und unheimlich in der nächtlichen Stille. An seinem Ende bog ich nach rechts ab. Der Rhein lag nur einen Steinwurf entfernt, ein diffuser schwarzer
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