Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
ein Wort an sie richten könnte, würde sie dann nicht dem Schultheiß befehlen, mich gehen zu lassen?
Ich erschrak über meine eigene Unverschämtheit. Man hatte mir gesagt, was ich zu tun hatte. Damit hätte ich zufrieden sein müssen, denn der Schultheiß wusste sicherlich besser als ich, was richtig und was falsch war. Dennoch gaben meine Gedanken keine Ruhe. Immer neue tauchten aus dem Nichts auf wie Sternschnuppen aus tiefster Nacht, ich konnte nichts dagegen tun.
»Madlen?«
Erschrocken fuhr ich herum. Josef stand vor mir. Ich musste zu ihm aufsehen, so groß war er. In einer groben, schmutzigen Hand hielt er seine Angel, die andere war ausgestreckt, als habe er mich an der Schulter berühren wollen. Er senkte sie, fuhr damit einmal über seinen dutzendfach geflickten Wollkittel und räusperte sich.
»Ich wollte dich und die anderen Mägde ins Dorf begleiten«, sagte er, »aber du warst nicht bei ihnen.«
»Mir stand nicht der Sinn nach Gesellschaft.«
Ihm musste klar sein, weshalb ich das sagte, schließlich hatte er nur wenige Fuß entfernt gesessen, als der Schultheiß an unseren Tisch gekommen war, aber er zeigte keine Regung, weder Mitleid noch Missfallen. Sein Gesicht war so rau und grob wie die Kleidung, die er trug. Der Kinnbart, den er jeden Morgen sorgsam mit dem Messer stutzte, schien nicht dazu zu passen. Er war die einzige Eitelkeit, die er sich leistete.
»Wir sollten hier nicht so stehen«, fuhr ich nach einem Moment fort. »Wir sind allein. Das gehört sich nicht.«
»Nein, das stimmt.«
Ich hatte gedacht, er würde gehen, aber er blieb stehen und kratzte sich am Kopf. Dann glitt sein Blick zum Haupthaus hinter mir. »Wolltest du da etwa reingehen?«
»Ich?« Ich wollte lügen, aber die Worte kamen mir nicht über die Lippen. Josef war ein harter, wortkarger Mann, so anders als seine Brüder, dass wir ihn als Kinder Kuckuck genannt hatten. Doch er war auch ein guter Kerl, der seit Heinrichs Tod mit seinen Söhnen half, unseren Hof zu bestellen, und sich bereit erklärt hatte, mich zur Frau zu nehmen, obwohl meine letzten beiden Kinder tot zur Welt gekommen waren. Er hatte es nicht verdient, dass ich ihn anlog.
»Es könnte uns jemand sehen«, sagte ich, während ich bereits an ihm vorbeiging. »Ich will nicht noch mehr Ärger bekommen.«
Schweigend folgte er mir über den Burghof und hinaus durch das Tor. Die breite Straße, die hinunter zum Dorf führte, war belebt. Die Bauern, Mägde und Knechte hatten ihren Frondienst beendet und machten sich auf, um im letzten Licht des Tages noch auf ihren eigenen Feldern zu arbeiten. Wir schlossen uns ihnen an.
Mein Vergehen schien sich nicht herumgesprochen zu haben, denn niemand sagte etwas dazu, und ich bemerkte auch keine Blicke. Das würde sich ändern, spätestens zu Ostern, wenn alle zusammensaßen.
Ich lauschte den Gesprächen um mich herum, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Sie drehten sich um das Wetter, um Saatgut, Getreide und Vieh. Kinder liefen zwischen den Erwachsenen umher, trotz des langen Tages noch voller Kraft. Einige rannten den steilen Weg hinunter, vorbei an Bäumen, deren Äste erstes Grün zeigten. Die Jungen schlugen sich mit Zweigen, die sie aus dem Unterholz zogen und in Gedanken zu Schwertern machten. Sie spielten »Kreuzzug«, aber das Spiel schlief rasch ein, da niemand ein Sarazene sein wollte. Einige Frauen trugen Kleinkinder auf dem Rücken. Ich beneidete jede von ihnen.
»Man gab mir heute viele Ratschläge«, sagte Josef plötzlich. Seit wir die Burg verlassen hatten, war er schweigend neben mir hergegangen. Nur die Angel, die er ständig zwischen den Fingern drehte, hatte angedeutet, dass ihn etwas beschäftigte.
»Zu was?«, fragte ich, obwohl ich es mir denken konnte.
»Dir.« Er sah hinauf in den dunkler werdenden Himmel. »Alle sagen, dass du eine harte Hand brauchst, so wie der Schultheiß meinte.«
Ungewollt glitt mein Blick zu seinen großen, harten Händen, mit denen er Füchse erschlug und Rehen das Genick brach, wenn er im Dienste des Grafen auf die Jagd ging.
»Heinrich hat mich nie geschlagen«, sagte ich so leise, dass nur er mich hören konnte.
Josef neigte den Kopf. »Da hat mein Bruder vielleicht was falsch gemacht.«
Ich ging schneller. Er schloss auf.
»Der Graf hatte mal diesen Jagdhund«, sagte er scheinbar zusammenhanglos. »Er fand jede Spur, war aber ansonsten zu nichts zu gebrauchen, weil er immer weglief. Der Graf wollte ihn schon ertränken, aber ich bat ihn, mir Zeit
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