Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Sogar eine Kuh hatte ein reicher Bauer gebracht. Die meisten von uns lebten besser als je zuvor.
Ich drehte mich um. Die Wiese, auf der wir unser Lager auf geschlagen hatten, reichte vom Fluss bis zu den Stadtmauern. Hinter den Türmen sah ich die Spitze des Bonner Münsters. Dort sprach Nicolaus gerade zu den Bewohnern der Stadt. Er hatte eine Gruppe Kinder mitgenommen, darunter auch Hugo. Eine zweite Gruppe bettelte in den Straßen. Die Stadtwache hatte nichts dagegen, im Gegenteil, ihr Kommandant hatte sogar einige Männer zu unserem Schutz abgestellt. Wir taten Gottes Werk. Dafür war man uns dankbar.
»Brauchen wir noch mehr Holz?«, fragte Konrad. Der Handkarren, den er hinter sich herzog, war fast voll mit Treibholz. Seit Beginn der Osterwoche hatte es nicht mehr geregnet. Die Äste und abgesplitterten Bretter waren trocken.
»Das sollte reichen.« Ich legte ein paar kleinere Zweige hinein, dann gingen wir zurück zu unserem Feuer.
Seit der Abreise aus Bonn hatten sich Gruppen gebildet. Es fanden sich immer dieselben Menschen abends an den Feuern zusammen. Ich lernte sie nach und nach kennen: den Knecht Gottfried, der sich in einem Kloster verdingte und viel von der Weisheit der Mönche aufgeschnappt hatte; Peter, den Viertelhufer, der sich mit seinen drei Söhnen dem Kreuzzug angeschlossen hatte; den kleinen Cornelius, der als Einziger am Feuer schlechter aß als zuvor, und noch ein paar andere, hauptsächlich die Kinder von Bettlern und Tagelöhnern.
Mit Gottfrieds und Cornelius’ Hilfe schichteten wir das Holz aus dem Karren auf.
»Wollen wir morgen früh betteln gehen?«, fragte der Junge, als er das letzte Brett an den Stapel lehnte.
Konrad hob die Schultern. Er und Hugo mochten Cornelius nicht, aber ich zwang sie trotzdem, mit ihm zu reden. Er war ein kleiner Junge, der ganz allein versuchte, Gottes Willen zu erfüllen. Es war unsere Christenpflicht, ihm zu helfen.
»Weiß nicht«, sagte Konrad. Er wich meinem Blick aus. »Wir ziehen doch bestimmt morgen weiter, oder?«
»Nein«, widersprach Cornelius, dann weiteten sich seine Augen vor Aufregung, denn auf einmal wurde ihm klar, dass er mehr wusste als Konrad. Seine Stimme überschlug sich fast, als er fortfuhr: »Ich habe gehört, wie Nicolaus gesagt hat, wir bleiben in Bonn, bis sich erfüllt, was der Engel angekündigt hat.«
Gottfried sah auf. »Wann hat er das gesagt?«
»Eben, bevor er in die Stadt gegangen ist.« Cornelius zeigte zu einem der anderen Feuer. »Zu ihm.«
Der Junge, den er meinte, hieß Lukas. Ich schätzte ihn in Hugos Alter, doch er war bereits groß und kräftig wie ein erwachsener Mann. Sein Haar war so blond, dass es im Licht der untergehenden Sonne zu leuchten schien. Er hielt sich fast immer in Nicolaus’ Nähe auf, nicht aufdringlich, sondern eher wie ein Vertrauter.
»Kennen Lukas und Nicolaus sich schon lange?«, fragte ich.
Gottfried wischte sich die Hände an seinem Umhang ab. »Kann eigentlich nicht sein. Nicolaus war allein, als er nach Köln kam.« Er grinste zahnlos. »Ich war dabei, als er das erste Mal vor dem Dom sprach. Zehn Leute haben ihm zugehört, und jetzt seht euch um!« Seine Geste schloss die Feuer und die Menschen daran ein.
Irgendwo hatte ich aufgeschnappt, es seien über tausend, aber ich wusste nicht, ob das stimmte. Auf dem Dorf hatte ich gelernt, mithilfe der Finger zu zählen. Worte wie hundert oder tausend hatten keine Bedeutung für mich.
Mein Blick kehrte zurück zu Lukas. Er saß auf einem Fell und rupfte ein Huhn, aber immer wieder hob er den Kopf und sah sich um, so als erwarte er etwas oder jemanden.
Wir zündeten das Feuer kurz nach Nicolaus’ Rückkehr an, als uns die Kälte der Nacht in die Kleidung kroch. Die Rufe der Nachtwächter hallten über die Mauern Bonns hinweg, dann wurden die Stadttore geschlossen. Soldaten tauchten zwischen den Zinnen auf.
Einige riefen Nicolaus heran, baten ihn, von dem Engel zu erzählen, der ihm erschienen war. Er tat es, obwohl seine Stimme bereits rau geworden war. Schließlich tauchte sogar der Hauptmann auf, doch anstatt seine Soldaten zurechtzuweisen, lauschte auch er der Geschichte.
Die Bettler hatten Karren voll mit Fellen gebracht, die wir unter uns aufteilten; die Gerber hatten sie gespendet. Ich teilte mir eines mit meinen Söhnen. Es war weich und warm und roch nach Wild. Der Geruch erinnerte mich an Josef.
Irgendwann verstummten die Gespräche an der Mauer, dann auch die an den Feuern. Die Nacht war sternenklar und kalt,
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