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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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doch ich fror nicht. Ich lauschte dem Schnarchen der Männer, den Atemzügen meiner Söhne und versuchte nicht einzuschlafen.
    Als mir die Augen zuzufallen drohten, drehte ich den Kopf und sah zu den anderen Feuern hinüber. Sie alle brannten, ihr Schein erhellte die Wiese und wurde erst am schwarzen Band des Rheins von der Nacht verschlungen.
    Dort am Ufer sah ich sie, zwei Gestalten, die auf Steinen saßen. Ich erkannte Lukas an seinen blonden Haaren und Nicolaus an dem Schäferstab, auf den er sich stützte. Die beiden sprachen miteinander, weit weg von allen anderen, allein in der Dunkelheit.
    Ich strengte mich an, versuchte mehr zu erkennen, vielleicht sogar ihre Worte zu verstehen, doch der Feuerschein war zu schwach und der Fluss zu laut.
    Schließlich wandte ich mich ab, beschämt über mein sündiges Verhalten, und schloss die Augen.
    Ich träumte von Wilhelm, so wie jede Nacht, seit er gestorben war, und erwachte weinend, so wie jeden Morgen seit jenem schrecklichen Tag.
    »Jagt dich der Teufel in deinen Träumen, Schwester?«, fragte einer von Peters Söhnen, als ich mir die Tränen aus den Augen wischte. Sie sahen sich so ähnlich, dass man sie nur anhand ihrer Größe voneinander unterscheiden konnte. Wenn sie allein waren, fiel das schwer.
    »Ich erinnere mich nie an meine Träume.« Es war bestimmt nicht gut, den Tag mit einer Lüge zu beginnen, doch die Wahrheit brachte ich nicht über die Lippen.
    Peters Sohn – hieß er Martin, Michael oder Matthias? – hob die Schultern und rührte weiter in dem Topf voller Haferschleim, den er in die heiße Holzkohle gestellt hatte. Er war kein neugieriger Junge und fragte auch nicht weiter nach.
    Auf der anderen Seite des Feuers regten sich die Männer. Unverheiratete Frauen und Mädchen, die nicht von Verwandten begleitet wurden, schliefen an ihren eigenen Feuern, alle anderen behalfen sich, indem Männer auf einer Seite, Frauen und Kinder auf der anderen schliefen. Nicolaus hatte bereits am ersten Tag der Reise ein strenges Gebot der Keuschheit erlassen. Niemand wollte in Versuchung geführt werden und die Reinheit des Kreuzzugs gefährden.
    Um mich herum erwachte das Lager unter Husten und Stöhnen. Männer und Jungen schlurften zum Fluss, um sich zu erleichtern, Frauen und Mädchen verschwanden zwischen den Bäumen am Rand der Wiese.
    Ich sah zum Ufer, dorthin, wo sich Nicolaus und Lukas in der Nacht zuvor unterhalten hatten. Nicolaus war immer noch dort, kniete im Sand, die Ellenbogen auf den Stein gestützt, auf dem er gesessen hatte, die Hände gefaltet. Sein Schäferstab lag neben ihm.
    Ich verrichtete mein Geschäft im Wald. Als ich an das Feuer zurückkehrte und den Mund mit warmem Bier ausspülte, sah ich, wie Nicolaus aufstand, seinen Stab nahm und auf den Stein stieg.
    Ich stieß Hugo und Konrad an. »Nicolaus will etwas sagen.«
    Es dauerte nicht lange, bis wir alle ihn umringten. Einige hatten den Mund voller Haferschleim, andere hielten Brot in den Händen.
    Nicolaus musterte jeden Einzelnen von uns. Seine Schulter gelenke stachen unter dem dünnen Hemd hervor. Er trug keinen Wollumhang und ging barfuß, doch er schien nie zu frieren.
    Als sein Blick mich traf, zuckte ich zusammen. Es war das gleiche Gefühl, das ich in der Nacht gehabt hatte, der gleiche Stachel in meiner Seele, der mich damals – war das wirklich erst sechs Tage her? – aus dem Schlaf gerissen hatte. Mir wurde auf einmal klar, dass alles, was geschehen war, dem Zweck gedient hatte, mich an diesen Ort zu führen, auf diesen Kreuzzug. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich wischte sie nicht weg.
    »Der Engel ist mir erschienen«, sagte Nicolaus.
    Ein Raunen ging durch die Menge, und ein Mädchen rief: »Gelobt sei der Herr!«
    Nicolaus beachtete die Reaktionen nicht. »Er nahm mich bei der Hand und flog mit mir hoch bis zu den Wolken hinauf.«
    Er sah in den Himmel. Die Erinnerung malte ein Lächeln auf sein Gesicht. Er sah jünger aus, wenn er lächelte, fast noch wie ein Kind.
    »Ich sah all die Feuer«, fuhr er fort, »und euch, wie ihr daran schlieft. Der Engel sagte, schon bald würden die Feuer unseres Kreuzzugs bis zum Horizont reichen.«
    Einige Kinder jubelten. Irgendwo begann ein Säugling zu schreien.
    »Seine Worte machten mich glücklich, doch dann sagte er etwas, das mir das Glück wieder raubte.« Nicolaus’ Blick kehrte zu uns zurück. »Er sagte, er sähe manche, die weltlichen Besitz mitgenommen hätten, nicht nur die Kleidung an ihrem Leib, sondern Ringe und

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