Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Dem Mann neben mir trat jemand so fest ins Gesicht, dass ich seine Nase brechen hörte. Schreiend krümmte er sich zusammen, versuchte seinen Kopf mit den Armen zu schützen.
Ich wollte wegkriechen, doch die Füße waren überall. Meine Hand berührte etwas Weiches, Schweres. Ich zog es heran und presste mein Gesicht hinein, um mich vor den Tritten zu schützen.
»Hilfe!« Lenas Stimme. »Hier sind welche gestürzt! Helft ihnen!«
Sie wurde von der Menge zurückgedrängt. Einige bemerkten, was passiert war, und blieben stehen, doch die meisten sahen mich und den Mann so spät, dass sie nur noch über uns springen oder – schlimmer noch – auf uns treten konnten.
Immer wieder versuchte ich hochzukommen, immer wieder warf mich die Menge zu Boden. Der Mann neben mir regte sich nicht mehr. Mir war übel vor Schmerz und Angst. Jeder Tritt ließ mich aufstöhnen, jeder Schlag brachte mich dem Vergessen näher. Die Welle aus Menschen, die über mich schwappte, erschien mir endlos. Benommen erkannte ich, dass ich darin ertrinken würde.
Schwere Stiefel sprangen plötzlich über mich hinweg. Hände ergriffen meine Arme, rissen mich hoch. Etwas klimperte. Meine rechte Hand war schwerer als die linke. Ich wusste nicht, wieso.
Irgendwo schrie jemand: »Der Dieb! Der Dieb! Wir haben ihn!«
Einen Moment lang glaubte ich, die Stimme meinte mich. »Ich habe nichts gestohlen.«
»Ich weiß«, antwortete ein Mann mit seltsamem Akzent.
Dann verschwand der Vollmond über mir. Es wurde still und dunkel.
Kapitel 9
Ich erwachte, als mir jemand Wasser ins Gesicht spritzte. Ich lag an einem der Feuer, und man hatte ein Fell unter mir ausgebreitet. Konrad hockte mit feuchten Wangen neben mir und hielt meine dreckverkrustete Hand, Hugo stand zu meinen Füßen, verunsichert, das sah ich ihm an, auch wenn er versuchte, es nicht zu zeigen. Einige andere standen um mich herum, darunter auch Lena und Michael, der Barbierlehrling.
»Keine Angst, es geht mir gut«, behauptete ich. Mein Kopf pochte, mein Rücken und meine Hand schmerzten. Vorsichtig setzte ich mich auf, und für einen Moment schaukelte die Welt, als säße ich auf einem Schiff, dann verschwand das Gefühl.
»Ich wollte dir helfen«, sagte Lena. »Bei Gott, ich habe es versucht. Aber alle schrien durcheinander, niemand hörte auf mich.« Sie war den Tränen nah. »Wenn der Spanier nicht gewesen wäre …«
Ich erinnerte mich verschwommen an seine Stimme. »Wo ist er?«
Michael nahm einen Schluck Bier aus einem Holzbecher. »Keine Ahnung, wahrscheinlich bei Peter, so wie die anderen.«
Ich runzelte die Stirn. »Was ist denn mit Peter? Ist ihm etwas passiert?«
»Noch nicht«, sagte eine Frau, die ich nicht kannte und die im Dialekt dieser Gegend sprach. »Aber er wollte uns bestehlen. Das kann nicht gut für ihn ausgehen.«
»Peter? Peter aus Köln?« Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte.
»Ja, Mama.« Konrad ließ meine Hand los und sah auf einen Punkt jenseits des Feuers. »Nicolaus redet mit ihm. Wenn es dir besser geht, können wir dann hingehen und zuhören?«
»Warum gehen wir nicht alle?« Michael stand auf, und er und Hugo halfen mir auf die Beine. Ich war erleichtert, als die Schmerzen nicht schlimmer wurden. »Nicolaus wollte dich eh sprechen«, fuhr der Barbierlehrling fort. »Ich hab ihm gesagt, ich bring dich zu ihm, sobald ich sicher bin, dass du nicht ernsthaft verletzt bist.« Er musterte mich einen Moment. »Bist du doch nicht, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. Es schmerzte, aber das ließ ich mir nicht anmerken. »Warum will er mich sprechen?«
»Weil du den Beutel mit Diebesgut in der Hand hattest, als dich der Spanier fand. Du wolltest ihn nicht loslassen.«
Ich konnte mich nicht daran erinnern. »Was ist mit dem Mann geschehen, der neben mir lag?«, wollte ich wissen. »Geht es ihm gut?«
»Bestimmt.« Lena bekreuzigte sich. »Der Herr hat ihn zu sich genommen.«
Ich bekreuzigte mich ebenfalls.
Konrad wich nicht von meiner Seite, während wir durch das Lager gingen. Immer wieder sah er zu mir hoch, als wolle er sich versichern, dass es mir wirklich gutging. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken, und versuchte nicht zu hinken.
Schon aus der Ferne hörte ich aufgeregte Stimmen, dann sah ich Menschen, die sich um einen großen, mit brennenden Fackeln abgesteckten Kreis versammelt hatten.
In der Mitte stand ein Karren und darauf Peter. Sein linkes Auge war zugeschwollen, sein Kinn blutverschmiert. Man hatte ihn mit Stricken
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