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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Erste, der ihn nach dem Heiligen Land fragte. Er bekam nicht genug von den Geschichten über Jerusalem und die Sarazenen und erzählte sie weiter, als wäre er selbst schon dort gewesen.
    Bald stritten sich die Kinder um einen Platz an Diegos Feuer. Nur die Erwachsenen begegneten ihm weiterhin mit Misstrauen. Das lag weniger an seinem fremdländischen Aussehen als an den merkwürdigen Dingen, die er tat. So reinigte er sich nach jedem Mahl mit einem Zweig die Zähne und wusch sich morgens und abends mit Wasser, das er über dem Feuer erwärmte. Der Barbier Michael, zu dem jeder ging, den wunde Füße oder Zahnschmerzen plagten, prophezeite, Diego würde nicht lange leben, wenn er seinen Körper auf diese Weise der Natur aussetzte.
    Eines Abends, als ich mit Nicolaus, Lukas und einigen anderen, denen diese Ehre erwiesen wurde, am Feuer betete, kam Gottfried hinzu. Höflich wartete er, bis Nicolaus geendet hatte, dann setzte er sich auf dessen Geste hin zu uns. Er wirkte besorgt.
    »Nicolaus«, sagte er, »wie viel weißt du über Diego?«
    Während des Gebets waren mir fast die Augen zugefallen, doch als ich seinen Tonfall hörte, verschwand meine Müdigkeit.
    Nicolaus strich mit den Fingern über seinen Stab, der neben ihm am Boden lag. »Ich weiß, was er uns erzählt hat: dass er aus Spanien kommt und den Weg ins Heilige Land kennt.«
    Gottfried nickte und sah sich verstohlen um. »Bist du sicher«, sagte er dann leise, »dass er wirklich schon einmal im Heiligen Land gewesen ist?«
    »Warum?« Lukas stellte die Frage, fordernd und ungeduldig wie immer. »Was weißt du?«
    »Nichts, aber …« Gottfried zögerte. »Ich habe mir die Geschichten angehört, die die Kinder erzählen. Cornelius redet ja von nichts anderem mehr als dem Heiligen Land. Aber in keiner, wirklich keiner …« – er machte eine Pause, versicherte sich mit Blicken, dass wir ihm alle zuhörten – »kommen Elefanten vor.«
    Gottfried lehnte sich zurück, als sei damit alles gesagt.
    Nicolaus und Lukas sahen sich kurz an. Die Reaktion schien Gottfried zu enttäuschen.
    »Versteht ihr denn nicht?«, fragte er. »Jeder weiß, dass die Menschen im Heiligen Land auf Elefanten reiten, dass es dort von Elefanten nur so wimmelt. Wenn einer behauptet, im Heiligen Land gewesen zu sein, aber keine Elefanten erwähnt, was heißt das eurer Meinung nach?«
    »Dass er lügt«, antwortete Lukas.
    Nicolaus hob die Hand. »Er ist ein Kreuzfahrer wie wir. Es ist unchristlich, einander der Lüge zu bezichtigen.«
    »Das ist auch nicht meine Absicht«, sagte Gottfried rasch. »Es ist mir nur aufgefallen, und ich wollte nicht, dass diese Zweifel in meiner Seele gären und sie vergiften. Ich weiß nun, dass ich mich nicht länger darum sorgen muss. Du wirst entscheiden, ob diese Zweifel berechtigt sind oder nicht.« Schwerfällig und mit knackenden Knien erhob er sich. »Danke, dass du mich angehört hast.«
    Dann trat er aus dem Schein des Feuers und verschwand in der Dunkelheit.
    Nicolaus starrte in die Flammen. Keiner sagte ein Wort. Nach einer Weile sah er auf. Sein Blick traf den meinen. »Du hast ihn zu uns gebracht, Madlen. Was denkst du?«
    Alle wandten sich mir zu. Mein Mund wurde trocken. Ich räusperte mich. »Er hat mir Brot geschenkt, als ich in Not war, und sich uns aus freien Stücken angeschlossen. Ich glaube nicht, dass er uns Böses will.«
    »Aber glaubst du, dass er im Heiligen Land war?«, fragte Lukas.
    »Woher soll ich wissen, wo er war und wo er nicht war?« Es war eine unfreundliche Antwort, für die ich mich im nächsten Moment schämte, aber niemand, auch nicht Lukas, wies mich deswegen zurecht.
    »Ich werde deswegen beten«, sagte Nicolaus, stand auf und ließ uns schweigend und nachdenklich am Feuer zurück.
    In den Tagen danach, als wir weiter am Rhein entlangzogen und die Tage wärmer und länger wurden, wartete ich auf Nicolaus’ Entscheidung, aber er erwähnte das Gespräch am Feuer nicht mehr. Ich hingegen dachte ständig darüber nach.
    Immer wieder ertappte ich mich dabei, dass ich Diego aus der Ferne anstarrte, als könne ich in seinen Kopf blicken. Ich hoffte, dass er es nicht bemerkte.
    Tage und Orte flossen ineinander, bis ich sie kaum noch voneinander unterscheiden konnte. Ich stand auf unzähligen Marktplätzen, bettelte vor unzähligen Kirchen, sprach mit mehr Menschen als in meinem ganzen Leben zuvor. Ich begriff allmählich, wie ich mit ihnen zu reden hatte, wen das Abenteuer reizte und wer von tiefem Glauben erfüllt

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