Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
Händen gerichtet. »Das bin ich, Herr.«
»Ich habe erfahren, dass du auf eine Pilgerfahrt nach Köln gehen willst.«
Nervös drehte ich das Brot zwischen meinen Fingern. Es glänzte feucht, dort, wo ich davon abgebissen hatte. »Ja, Herr. Morgen.«
»Das wirst du nicht. Wir brauchen dich hier.« Er wandte sich ab.
Ich blieb stehen. Gedanken schossen mir durch den Kopf wie Blitze durch den Himmel. Ich dachte an Konrad und Hugo und Maria und Edith und Heinrich, an das in Leinentuch eingeschlagene Brot, das in unserer Hütte hing, und an den Wollumhang meiner Mutter, den sie mir mitgeben wollte, weil es vielleicht auf dem Rhein kalt sein würde. Ich dachte an die Worte der Gräfin nach dem Unfall im Steinbruch. »Ich möchte dir das Leid gern erleichtern, Madlen. Das ist meine Christenpflicht. Sag mir, ob ich etwas für dich tun kann.«
»Ich möchte nach Köln«, hatte ich geantwortet. Es war mir nicht um die Pilgerfahrt gegangen, ich hatte noch nicht einmal etwas davon gewusst. Ich wollte nur meine Söhne in die Arme schließen und ihnen vom Tod ihres Vaters und der beiden Schwestern, die sie nie gesehen hatten, erzählen. Ich wollte, dass sie mich hielten, während ich weinte.
Das Brot zerbröckelte zwischen meinen verkrampften Fingern. Krümel fielen auf den Boden, und die Hühner zu meinen Füßen begannen sich gackernd darum zu streiten.
Ich sah auf. »Die Herrin hat es erlaubt.«
Der Schultheiß blieb stehen. Langsam drehte er sich um. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm je zuvor in die Augen geblickt hatte. Sie waren blau und kalt. Es sah aus, als wäre etwas in ihnen gestorben, vielleicht die Familie, die er Jahre zuvor bei der Seuche verloren hatte.
»Wie war das?«, fragte er.
Außer dem Gackern der Hühner war nichts zu hören. Die anderen Frauen schienen weiter von mir entfernt zu sitzen als zuvor. Es war, als rage eine Mauer zwischen ihnen und mir auf. Ich war allein.
»Die Herrin.« Ich hörte das Zittern in meiner Stimme. »Sie hat es mir erlaubt.«
»Du hast ihr Mitleid ausgenutzt, weil du dich vor der Arbeit drücken willst.« Der Schultheiß machte einen Schritt auf mich zu, und auf einmal wirkte er nicht mehr so klein. »Ich weiß doch, wie ihr seid.« Die Geste seines Arms umfasste den ganzen Tisch. »Man muss euch mit harter Hand führen, sonst wisst ihr nicht, was richtig und was falsch ist.«
Gertrud nickte zustimmend. Sie war die Einzige, die auf die Worte des Schultheiß reagierte.
»Wenn du willst«, fuhr Karl an mich gewandt fort, »gehen wir sofort zur Gräfin. Dann kannst du ihr selbst erzählen, welch unverschämten Ton du hier anschlägst und von deiner Faulheit.« Er schüttelte den Kopf. »Eine Magd, die auf große Reise wie eine Herrin geht. Und zu Ostern, wenn ein Bankett mit hundert Gästen ansteht. Wie konntest du’s wagen, darum zu bitten, Weib?«
Er schrie das letzte Wort.
Ich sah ihn schon längst nicht mehr an. Tränen liefen mir über die Wangen. Ich schämte mich dafür, fast so sehr wie für meine eigene Dummheit. Ich wusste nicht, ob er recht hatte, nur eines wusste ich sicher: Ich hatte unrecht.
»Verzeiht, Herr«, sagte ich leise.
»Was?«
Er wollte, dass ich es wiederholte. Ich hatte ihm vor allen widersprochen, da war es nur angebracht, dass ich mich auch vor allen entschuldigte.
»Bitte verzeiht mir, Herr«, wiederholte ich so laut, dass meine Stimme über den Burghof hallte. »Ich war unverschämt und dumm.« Mit dem Handrücken wischte ich die Tränen von meinen Wangen.
Der Schultheiß verzog den Mund. »Ich werde darüber nachdenken, ob mir das reicht.« Er winkte knapp. »Und jetzt an die Arbeit! Und zwar alle!«
Die Suppenschüssel war noch halb voll, aber niemand wagte es, auch nur einen Blick darauf zu werfen.
Karl beachtete uns nicht weiter. Mit langen Schritten ging er in Richtung des Haupthauses, zu seinem eigenen Mittagsmahl.
Zitternd atmete ich ein, während Helene die übrig gebliebenen Brote in Tuch einschlug und Kunigunde begann, den Tisch abzuräumen. Die anderen gingen rasch und ohne ein Wort wieder an die Arbeit. Nur Klara und Gertrud blieben zurück, die eine mit schreckgeweiteten Augen, die andere mit unlesbarem Gesichtsausdruck.
»Hab keine Sorge«, sagte Gertrud. Sie klang mitfühlend. »Wenn du’s willst, werden wir gemeinsam dafür beten, dass der Herr dir mehr Demut schenkt.«
Ich antwortete nicht. Gertrud blieb einen Moment lang ratlos stehen, dann wischte sie sich die Hände an ihrer groben Wollschürze ab und
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