Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
Dissidenten geworden. Immer vorausgesetzt, dass sie sich dann überhaupt dauerhaft der Schriftstellerei zugewandt hätten. Das, glaube ich, ist das Geheimnis ihres Erfolgs: Sie waren die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
4.
Boris Strugatzki hat nach dem Tode seines Bruders noch zwei Science-Fiction-Romane geschrieben. Er tat sich schwer damit, es dauerte bis 1995, dass »Die Suche nach der Vorherbestimmung« erschien – er verglich die Arbeit daran mit den Mühen eines Mannes, der sein Leben lang zu zweit mit einer Schrotsäge gearbeitet hat und jetzt ohne den Partner allein weitersägen muss. Es ist indes bemerkenswert, wie nahtlos beide Bücher an das gemeinsame Werk anschließen, sowohl thematisch wie auch stilistisch, speziell allerdings an das gemeinsame Spätwerk. Besonders der zweite Roman »Die Ohnmächtigen« (2003) lässt in seiner Machart eine enge Verwandtschaft sowohl mit dem letzten großen gemeinsamen Werk »Die Last des Bösen« (1989) als auch mit der von Arkadi allein niedergeschriebenen langen Erzählung »Ein Teufel unter den Menschen« (postum 1993 veröffentlicht) erkennen.
Bei »Die Suche nach der Vorherbestimmung« ist das weniger deutlich, weil dieser Roman mehrere fantastische Motive, die erst nach und nach hervortreten, miteinander und mit autobiografischen Elementen des Autors verwebt; vor allem aber ist er ein prüfender Blick auf den größten Teil sowjetischer Geschichte: Die Handlung reicht vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ende der UdSSR (und darüber hinaus in eine Zeit, die bei der Entstehung des Romans noch nahe Zukunft war). Es ist keine »Abrechnung«, wie deutsche Feuilletonisten in solchen Fällen zu schreiben pflegen, und die Verhältnisse in der Sowjetunion sind auch nicht das zentrale Thema des Buches, dennoch gewinnt man ein Bild von einer Wirklichkeit, die oft fantastischer anmutet als die eigentliche SF-Idee. (Ähnliches leistet, wenngleich in einem anderen und schmaleren Ausschnitt, Arkadi Strugatzkis »Ein Teufel unter den Menschen«.)
Beide Strugatzkis haben in der Öffentlichkeit mit biografischen Einzelheiten gegeizt und betont, die Biografie eines Schriftstellers seien seine Werke. Dennoch war Boris Strugatzkis Biografie mit dem Erscheinen seines letzten Romans »Die Ohnmächtigen« keineswegs beendet, nicht einmal in literarischer Hinsicht. Er stellte anhand der verschiedenen sowjetischen Ausgaben und der erhalten gebliebenen Manuskriptfassungen die seither in mehreren Werkausgaben gedruckten kanonischen, also ungekürzten und unzensierten Fassungen der früheren Romane her; er war Chefredakteur einer der beiden führenden russischen SF-Zeitschriften, die Mittag, 21. Jahrhundert hieß und im Untertitel als »Boris Strugatzkis Zeitschrift« firmierte; er vergab einen eigenen, hoch angesehenen SF-Preis, die »Bronzeschnecke«. Soweit es seine Gesundheit erlaubte, präsidierte er bei den Zusammenkünften des Petersburger Fantastik-Seminars, einer Schreibwerkstatt für talentierte Nachwuchsautoren, deren Leitung er 1973 übernommen hatte. (Das Organisatorische erledigten in den letzten Jahren schon einige Jüngere, die aus diesem Seminar hervorgegangen und inzwischen selbst namhafte Autoren sind.) Sein bei Weitem umfangreichstes Werk der letzten Jahre war jedoch das Offline-Interview auf seiner Website. Er hat dort bis Anfang November 2012, also bis kurz vor seinem Tod, insgesamt 8620 Fragen beantwortet – Fragen sowohl nach Einzelheiten in den Werken der Strugatzkis als auch zu allen möglichen anderen Themen, zu denen man ihm und zu denen er sich selbst Kompetenz zutraute. Schon die schiere Anzahl der Fragen dokumentiert die riesige Autorität, die Boris Strugatzki in der russischen Gesellschaft genoss (gestellt wurden noch viel mehr, doch der Administrator der Website traf eine Vorauswahl, um etwa Dopplungen zu vermeiden). Er hat auch bereitwillig andere Interviews gegeben, oft zu politischen Fragen, und aus seiner demokratischen Gesinnung kein Hehl gemacht – was an sich schon viel Charakterstärke erfordert, denn für die meisten Russen unserer Tage ist (nach den Erfahrungen der Jelzin-Ära) »Demokrat« ein Schimpfwort, und die noch vorhandenen Reste der demokratischen Parteien sind ein ziemlich kläglicher Haufen. Auch seine veröffentlichte Korrespondenz mit Michail Chodorkowski, dem prominentesten politischen Gefangenen in Russland, ist weithin wahrgenommen worden. Boris Strugatzkis Unterschrift steht unter zahlreichen Protestnoten gegen
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