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Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)

Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)

Titel: Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Idee ist die des Lem’schen »Solaris«-Ozeans, wird von Tiptree aber auf eine ganz andere Weise gestaltet und lässt den Leser mit einem Zweifel am Sinn der Erkenntnis zurück, der eine Weile nachhallt.
    Ein Höhepunkt von »Zu einem Preis« ist die Novelle »Aus dem Überall«, oberflächlich eine weitere Alien-Geschichte über ein Wesen aus dem All, das auf der Erde verunglückt und sich zersplittern muss, um überleben zu können. Die einzelnen Splitter verteilen sich auf mehrere Menschen, und fortan fühlen sich die Menschen auf eine Weise zueinander hingezogen, die sie selber nicht verstehen. Da zwei der Splitter in Vater und Tochter gelandet sind, bürstet Tiptree wieder einmal die Moral des Lesers kräftig gegen den Strich und schildert auf unglaublich souveräne Weise das inzestuöse Verhältnis der beiden, bis hin zum vollzogenen Sex zwischen der minderjährigen Tochter und ihrem Vater. Man traut seinen Augen kaum, aber Tiptree umschifft alle Klippen, die in einem solchen Stoff lauern, nicht ohne, was die juristischen Folgen angeht, einen Hang zum Happy End zu offenbaren. Die Geschichte selbst geht dann aber natürlich doch traurig aus, irgendwie.

    Die fieseste und als einzige wirklich gemeine Geschichte des Bandes ist »Von Fleisch und Moral«, die wieder einmal das Problem der Überbevölkerung behandelt; es gibt eine ganze Reihe von Tiptree-Texten, in denen das geschieht. Hier müssen die Unterschicht-Mütter ihre Kinder gleich nach der Geburt abgeben, und was danach mit den Babys geschieht, hat mit den abgeschotteten Enklaven der Reichen zu tun, dem, was Menschen alles für Geld zu tun bereit sind, und mit dem Appetit der Superreichen hinter den Absperrungen. Tiptree macht aus diesem Stoff, den man ja kennt (Harry Harrisons Soylent-Green-Roman war schon fast zwei Jahrzehnte alt, als sie ihre Version veröffentlichte), ein literarisch raffiniertes Gewebe, dem man seine Bösartig keit nicht sogleich anmerkt.
    Eine weitere Überbevölkerungs-Geschichte eröffnet den Band, und sie hat keine starken Charaktere, zeichnet keine literarische Figur, die dem Leser nahegeht, so wie das in fast allen anderen Geschichten der Fall ist. Sie ist ein Gedankenexperiment. In »Der Teilzeitengel« wirft ein zufällig von einem gutgemeinten Wunsch berührtes, über alle Maßen fremdes Wesen eine Art Fluch über die Menschheit: Jede Mutter hat immer nur genau ein waches Kind zur selben Zeit. Hat sie zwei Kinder, dann schläft eines ein halbes Jahr, ehe die beiden die Plätze tauschen. Kinder mit vielen Geschwistern bekommen entsprechend weniger wache Zeit. Auf diese Weise wird nebenbei auch der Hunger auf der Welt besiegt. Wenn da nicht die Mathematik wäre, die nahelegt, dass die Menschheit, über lange Zeiträume gerechnet, auf diese Weise aussterben wird …
    Als Kontrast zu all dem starken Tobak, den dieser Band bietet, und wie als Entschuldigung für den Leser, dem sich die Haare gesträubt haben, schließt die Sammlung mit »Hölle, wo ist dein Sieg?«, eine kaum Science-Fiction-Elemente enthaltende, fantasyartige Intrigengeschichte, die genau genommen weder Fantasy noch Science Fiction ist. Von ein paar Versatzstücken ohne große Bedeutung abgesehen, ist der Text eine heiter-ironische Geschichte über Geschlechterrollen und darüber, wie listig Frauen sein müssen, wenn sie in einer Welt bestehen wollen, die nun wirklich nur Männer akzeptiert: Sie müssen die Gesellschaft lediglich glauben lassen, dass das nach wie vor so ist, während sie in Wirklichkeit längst im Geheimen die Fäden ziehen.
    An dieser Stelle kann man dem weithin verbreiteten Urteil über Tiptree/Sheldon, sie sei eine Vertreterin der feministischen Science Fiction, noch am ehesten zustimmen. Bei vielen anderen Texten erscheint diese Deutung allerdings als viel zu kurz gegriffen. Wird eine Geschichte allein dadurch feministisch, dass alle Männer darin sich wie Schweine benehmen und die Heldin, die einzige Frau darin, nicht? Tiptree selbst war sich dieser Fragestellung offenbar bewusst, denn sie bezeichnet die Frauen in einer der Geschichten schlicht als den »zweitgemeinsten Primaten auf Erden«. Ursula K. Le Guin selbst plädierte dafür, Tiptree nicht durch irgendwelche Vorurteile hindurch zu betrachten, als sie schrieb: »Da sie in eine männliche Rolle schlüpfte und diese in der Öffentlichkeit nun schon seit Jahren mit beachtlichem Erfolg beibehält, gibt es einige Einschätzungen, die wir überdenken sollten – unsere Einschätzungen

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