Das sechste Herz
Teddyplüsch-Futter« für ihre Mutter und einen handbemalten Bierkrug für ihren Vater erstanden. Ihre Freundin Doreen bekam wie jedes Jahr einen Gutschein für eine exklusive Kosmetikbehandlung, den sie dann auch wie jedes Jahr im Januar gemeinsam einlösen würden. Fehlte nur noch etwas für Jo, für den Lara leider gar keinen Plan hatte. Sie schloss die Augen und durchforstete gedanklich sein Bad. Parfüm, Aftershave, Duschgel? Das war alles so profan. Vielleicht ein gutes Buch. Lara schüttelte heftig den Kopf. Das war auch ziemlich einfallslos. Jeder, der nichts Besseres wusste, schenkte etwas zum Lesen, meist sogar, ohne den Beschenkten vorher zu fragen, was er bevorzugte. Sie beschloss, das Grübeln aufzugeben, ihren Artikel zu Ende zu schreiben und sich und ihrem Unterbewusstsein dabei Zeit zu geben, darüber nachzudenken.
Vorher aber konnte ein schneller Blick in die Internet-Nachrichten nicht schaden. Lara war sich bewusst, dass sie nur nach Möglichkeiten suchte, die Arbeit vor sich herzuschieben, und rief die News-Seite auf. Die Hauptnachricht gellte in Großbuchstaben gleich von der Startseite:
SECHSTES SCHLACHTER-OPFER GEFUNDEN!
Heute Morgen wurde im Elsterflutbecken nahe der Landauer Brücke von Spaziergängern eine Frauenleiche gefunden. Sie ist höchstwahrscheinlich das sechste Opfer des Schlachters. Wie Augenzeugen berichteten, waren Brust und Bauch aufgeschlitzt, und das Herz fehlte – das Herz, welches der Täter bereits vorgestern in einem Behälter vor dem Kindergarten Spatzennest deponiert hatte.
Wahrscheinlich hat der Mörder die Leiche in der Hoffnung, sie werde untergehen, von der Brücke geworfen. Da der Fluss hier nicht sonderlich tief ist, wurde der Körper jedoch ans Ufer gespült, wo ihn die Spaziergänger heute früh entdeckten. Leipzig live erfuhr aus sicherer Quelle, dass Herz und Leiche zusammengehören. Die Ergebnisse der diesbezüglichen DNA-Untersuchung werden in einer für morgen Nachmittag anberaumten Pressekonferenz bekannt gegeben.
Lara rollte mit den Augen. Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei würden genau wie sie die Nase von dem Fall gestrichen voll haben. Ein weiterer Leichenfund wenige Tage vor dem Fest, Ermittlungsarbeit und eine Pressekonferenz kurz vor dem vierten Advent würden so manche Ehe auf die Probe stellen. Sie rief weitere Links auf, aber mehr als Leipzig live wussten die anderen auch nicht. Außer dass es sich bei der Leiche um eine Frau gehandelt hatte, war auch noch nichts über die Identität des Opfers bekannt. Das Elsterflutbecken in Leipzig schien sich außerdem zu einem beliebten Ablageort für Leichenteile zu entwickeln. Erst letztes Jahr hatte ein junger Mann seinen Freund zerstückelt und die Teile hier »abgelegt« und jetzt das.
Sie drehte den Kopf von links nach rechts und lauschte dem leisen Knacken der Halswirbel. Ob Jo schon vor Ort war und Fotos schoss? So wie sie ihn kannte, hatte er höchstwahrscheinlich wieder den Polizeifunk abgehört und war sofort zum Fundort gefahren. Lara nahm ihr Mobiltelefon in die Hand, fuhr mit dem Zeigefinger über das Display und legte es wieder hin. Sie wollte ihn nicht nerven. Er würde sich schon bei ihr melden, sobald er Zeit dazu fand. Eigentlich rief er jeden Tag an, und gestern hatten sie sich den ganzen Tag nicht gesehen, nur abends miteinander telefoniert.
Draußen tanzten die Flöckchen. Warum waren eigentlich immer Frauen die Opfer des Schlachters? Gab es einen nachvollziehbaren Grund dafür? Oder lag es ganz einfach daran, dass es sich bei den Tätern um Männer handelte und Frauen einfach wehrloser, bequemer zu erreichen und einfacher zu dominieren waren? Lara holte tief Luft und beschloss, endlich an ihrem Artikel weiterzuarbeiten. Nach der neuesten Entwicklung würde sie ihn erweitern und einiges umschreiben müssen.
Als hätten ihre Gedanken es aufgeweckt, summte das Handy und piepste dann zum Zeichen, dass eine SMS gekommen war. Lara spürte ein Lächeln in ihre Mundwinkel kriechen, als sie Jos Nachricht las: »bin am elsterflutbecken. lies die news. ruf dich später an. xxx jo.«
Kreuze bedeuteten Küsse. Aber bei gleich drei Stück konnte Jo sich schlecht einfach nur vertippt haben. Solch ein Überschwang der Gefühle sah ihm gar nicht ähnlich. Sie rief ihren Artikel auf und starrte auf den Text, ohne ihn wirklich zu sehen.
Warum hatte sie eigentlich seit ihrem Treffen am Sonntag nichts mehr von Mark gehört? Wenn sie sich richtig erinnerte, hatte er ihr und Jo versprochen,
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