Das sechste Herz
hat sie mir versichert, stamme nicht von ihr.«
»Vielleicht ist alles halb so wild.« Die Erleichterung verwandelte Laras Beine in Pudding. Tränen brannten hinter ihren Augen und wollten nach vorn. Sie schluckte mehrmals, ehe es ihr gelang zu sprechen. »Er beantwortet auf dem Revier ein paar Fragen. Deshalb kann er auch nicht ans Telefon gehen.«
»Ich hoffe, das ist des Rätsels Lösung. Was mir aber nicht gefallen will, ist, dass Mark seit über vier Stunden in diesem ›Funkloch‹ verschwunden ist. Ein ›paar Fragen‹ können doch nicht so lange dauern …« Er sah ihr in die Augen. »Och Lara, jetzt wein doch nicht gleich.« Schnell war er aufgestanden, um den Tisch herumgekommen und umfasste ihre Schultern. »Jetzt trinken wir aber wirklich erst einmal einen Tee zur Beruhigung. Keine Widerrede. Mark ruft bestimmt gleich an und erzählt uns alles.« Jo drückte noch einmal fest zu und ließ sie dann los. »Das ist vielleicht eine Kälte hier drin … Frierst du denn nicht?« Er zeigte zum Fenster, und sie sah, dass es noch immer weit offen stand.
»Hab ich gar nicht bemerkt. Aber jetzt, wo du es sagst …« Zeitgleich zu ihren Worten bemerkte Lara, dass sie zu zittern begann, und fragte sich, was sie an der ganzen Sache so durcheinanderbrachte, dass ihr gesamter Kreislauf verrückt spielte. Alles würde sich aufklären, sie musste nur ein wenig Geduld mitbringen. Jo schloss das Fenster und hantierte anschließend in der Küche herum, füllte den Wasserkocher und schaltete ihn ein, klappte auf der Suche nach Teebeuteln Schranktüren auf und wieder zu und brachte dann zwei Tassen herbei. Sie saß wie ein komatöser Frosch auf ihrem Stuhl und sah ihm dabei zu, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren. Das Zittern hatte so schnell aufgehört, wie es angefangen hatte.
»Wollen wir noch was essen gehen?« Jo tauchte seinen Teebeutel in die Tasse und zog ihn wieder heraus. Das Ganze wiederholte er mehrfach.
»Hab keinen Hunger.«
»Aber ich. Irgendwas solltest du auch zu dir nehmen. Wir können doch im Moment nichts tun.«
»Sonntag ist der vierte Advent. Was, wenn sie Mark bis dahin dortbehalten?«
»Aber weswegen denn, um Himmels willen? Die Kripo kann nicht einfach jemanden mehrere Tage lang festhalten. Dazu bräuchten sie handfeste Beweise, und woher sollten die kommen? Das ist unlogisch. Lass uns ins Stefano gehen.« Seine blauen Augen flehten. »Du kannst doch einen kleinen Salat essen.«
Lara verfolgte die gelblichen Schlieren, die in ihrer Tasse kreiselten. Das Klingeln ihres Handys schrillte überlaut durch die Küche. Sie verschüttete etwas Tee, sprang hoch und stolperte zur Anrichte. Hinter ihr polterte der Stuhl zu Boden. Im Display stand Marks Name.
Auch Jo war aufgestanden. Die Besorgnis in seinem Gesicht wich einem Lächeln, als er ihren Gesten entnahm, wer am anderen Ende war. Das Telefon ans Ohr gepresst, tastete sich Lara zum Tisch zurück, ehe ihre Beine unter ihr nachgeben konnten.
»Lara? Ich bin’s, Mark.«
»Ich weiß.« Sie war auf einmal unendlich müde.
»Du hast schon viermal bei mir angerufen.«
»Was glaubst du wohl, warum?« Der plötzlich in ihr auflodernde Zorn erschreckte Lara. »Deine Frau ruft mich an und erzählt mir, du wärst festgenommen worden! Da soll ich mir keine Gedanken machen?«
»Entschuldige bitte. Ich hatte nicht erwartet, dass so eine Welle daraus werden würde.« Marks Stimme klang gedämpft, und er hustete zwischendurch. Jetzt tat er ihr wieder leid. Jo saß ihr mit gefalteten Händen gegenüber und versuchte, aus ihren Antworten den Sinn des Gesagten zu erfassen.
»Die Kripo wollte mich zu einigen Dingen befragen, das war alles.«
»Wieso bist du mit ihnen mitgegangen? Konnten sie dir denn die Fragen nicht in der Praxis stellen?«
»Anscheinend nicht.«
»Was wollten sie wissen?«
»Einiges. Es ging um Magnus Geroldsen und Frank Studer. Neue Beweise sind aufgetaucht.«
»Beweise? Was für Beweise?« Lara flüsterte und sah, wie Jo die Augenbrauen zusammenzog und kurz den Kopf schüttelte.
»Das lässt sich nicht so einfach erklären.« Im Hintergrund tickte ein Blinker. Es klang, als säße Mark im Auto. »Ich musste erst einmal wieder zu mir kommen, ehe ich losfahren konnte.« Er nieste und fuhr fort. »Bist du zu Hause?«
»Ja.«
»Kann ich vorbeikommen?«
»Wie meinst du das?«
»Nun, so wie ich es gesagt habe. Ich würde gern auf einen Sprung vorbeischauen und dich sehen. Am Telefon lässt sich vieles nur schwer erklären. Ich
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