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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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klar.
    »Gestern Abend war ich erst wieder dort.«
    »Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Gespräche etwas nützen?«
    »Ja, sehr. Man kann sich mit den anderen über die Probleme austauschen und bekommt nützliche Tipps.«
    »Das ist prima. Welche Tipps meinen Sie?«
    Frank Studer rieb sich mit einem schabenden Geräusch über die Bartstoppeln und schaute nach oben, ehe er antwortete.
    »Was man zum Beispiel machen kann, wenn einen die Gier nach Alkohol überfällt. Um sich abzulenken. Einige haben ja schon jahrelange Erfahrung damit. Und Rolf achtet darauf, dass jeder mal zu Wort kommt.«
    »Rolf ist der Coach?«
    »Rolf ist unser Gruppenleiter. Er ist schon seit über zwanzig Jahren trocken.« Frank Studer schien stolz auf den Coach zu sein.
    »Ich finde es super, dass Sie die Treffen regelmäßig aufsuchen. Machen Sie damit weiter. Das gilt natürlich auch für unsere Gespräche.«
    Studer nickte mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck. Ein bisschen Bekräftigung musste sein. Vielen Patienten fehlten der Zuspruch und die Bestätigung dafür, dass sie das Richtige taten.
    »Und sonst? Kommen Sie mit Ihren Medikamenten zurecht?«
    »Ich nehme sie genauso, wie Sie es gesagt haben.«
    »Ausgezeichnet, Herr Studer.« Das lief schon fast zu gut. Mark notierte sich, dass er den Patienten weiterhin zu den Besuchen in der Therapiegruppe befragen wollte. »Haben Sie noch Fragen, oder möchten Sie etwas mit mir besprechen?«, setzte er hinzu.
    Es flackerte kurz in Frank Studers Augen, dann strich er sich mit der flachen Hand über den Hinterkopf. »Hätten Sie vielleicht ein Glas Wasser für mich?«
    »Moment. Ich hole Ihnen eins.« Mark erhob sich und klemmte Studers Akte unter den Arm. Normalerweise reichte er hier drin keine Getränke. Aber Frank Studer war der letzte Patient für heute, und ehe er Annemarie darum bat, konnte er das Wasser auch gleich selbst von draußen holen.
    Als er zurückkam, stand Studer vor den Landschaftsaufnahmen und betrachtete gerade das Bild vom Aosta-Tal. »Das sieht toll aus!«
    »Die Alpen. Waren Sie schon mal dort?« Mark reichte dem Patienten das Glas, und der stürzte das Wasser in einem Zug hinunter.
    »Nein, leider. Vielleicht nehme ich mir das für nächsten Sommer mal vor.« Studer lächelte schief.
    »Gut, Herr Studer.« Für Small Talk hatte Mark heute keine Zeit. »Einen Termin für nächste Woche vereinbaren Sie bitte mit Schwester Annemarie.« Er ging voran zur Tür. Studer folgte ihm. »Donnerstag oder Freitag wären sinnvoll.«
    »Alles klar, Herr Doktor.« Frank Studer hob die Hand. Er vermied jeglichen Körperkontakt. »Dann wünsche ich Ihnen schon mal ein schönes Wochenende.«
    »Danke.« Mark schloss die Tür. Der Patient war heute im Gegensatz zu seinen letzten Besuchen merkwürdig aufgeräumt gewesen. Er nahm sich vor, Studers Verhalten noch einmal nachträglich genauer zu analysieren. Nicht dass der Mann in eine bipolare Störung abglitt und gerade in die manische Phase eintauchte.
    Die Akte hatte er noch unter dem Arm. Mark notierte »bipolar?« und ging, um Annemarie die Papiere zurückzubringen. Es war nicht die Norm, dass ein Patient, der nach massiven Halluzinationen, Krämpfen und anschließendem Koma tagelang auf der Intensivstation gewesen war, schon bald völlig ausgeglichen und austherapiert zu sein schien. Irgendetwas stimmte da nicht.

19
    Eisig pfiff der Fahrtwind in Patricks Gesicht und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er trat noch etwas schneller in die Pedale und dachte über den Ausflug in diesen Kees’schen Park und die Verantwortung nach, die Tom Fränkel ihm aufgehalst hatte. Wenn etwas schiefging, würde der Redaktionsleiter ihn fallen lassen wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel, daran gab es keinen Zweifel. Und Christin und Hubert würden einen Teufel tun, ihm beizustehen und damit ihren Job zu riskieren.
    Er war vorher noch nie in diesem Park gewesen und hatte sich auf dem Hinweg auch prompt verfahren, während in seinem Kopf eine leise Stimme die Minuten heruntergezählt hatte.
    Der helle Sandstein des Palmenhauses hatte schon von Weitem durch die Rhododendren geleuchtet. Es war ein fast würfelförmiger Bau mit einer geschwungenen Kuppel, die sich im oberen Teil halbrund verjüngte. Kleine Steinchen waren zur Seite geschleudert worden, als er auf das Gebäude zugeradelt war.
    Patrick hatte sich entschieden, mit dem Rad durch den Park zu fahren, auch wenn das nicht erwünscht war. Aber im Winter waren wahrscheinlich eh kaum

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