Das sexuelle Leben der Catherine M.
dichten Kreis um mich wie einen zweiten Zaun, der mich vor den Blicken der Passanten schützt. Einer nach dem anderen löst sich aus dem Kreis und kommt zu mir. In einer anderen Geschichte liege ich in einer Nachtbar auf einer Bank, rechts und links ein Mann. Während ich mit dem einen zugange bin und wir uns gierig küssen, streichelt mich der andere. Dann will ich mich auf die andere Seite drehen und den Zweiten küssen, doch der Erste lässt mich nicht los – oder er macht einem Neuen Platz, und so schwenke ich unablässig von rechts nach links und zurück. Ich bin nicht sicher, ob ich zu Zeiten, da ich mich solchen Vorstellungen hingab, schon Flirts hatte oder überhaupt schon einen Jungen geküsst hatte; ich habe spät angefangen. Nach der Schule kamen öfter ein paar Freunde zu mir aufs Zimmer, das ich mit meinem Bruder teilte, aber mit ihnen habe ich eher gerauft. In diesem Alter sind Mädchen körperlich weiter entwickelt als Jungs; ich war ziemlich kräftig und ab und zu überlegen.
Wenn ich schon meine Fantasien aus Kindheit und Jugend schildere, muss ich auch sagen, dass zwischen meinen Vorstellungen und meinem anfänglichen Verhalten, vor allem in der Pubertät, eine Diskrepanz bestand. Bei einen Roman von Hemingway (es könnte Fiesta gewesen sein), brachte mich die Schilderung einer weiblichen Figur, der er mehrere Liebhaber zugedacht hatte, so durcheinander, dass ich die Lektüre abbrach und nie wieder aufnahm. Ein Gespräch mit meiner Mutter verursachte ein weiteres kleines Trauma; ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema zu sprechen kamen, ich sehe nur noch, wie sie in der Küche den Tisch deckte und mir anvertraute, dass sie in ihrem Leben sieben Liebhaber gehabt hatte. »Sieben«, sagte sie und sah mich an, »ist nicht gerade viel«, doch in ihrem Blick lag eine fragende Scheu. Ich verzog das Gesicht. Zum ersten Mal hörte ich es ausgesprochen, dass eine Frau mehrere Männer haben konnte. Sie verteidigte sich. Wenn ich lange Zeit später an diese seltene Vertraulichkeit dachte, bereute ich meine Reaktion. Sieben, was war das schon gegenüber einer Bilanz, die nie gezogen wurde?
Als ich besser Bescheid wusste, worin sexueller Kontakt besteht, bezog ich ihn natürlich in meine Träumereien mit ein, ohne dass der Koitus jedoch die Möglichkeit ausschloss, von einem Partner zum anderen zu wechseln. Eine sehr vollständige Geschichte zu diesem Punkt ging so: Ich begleite einen dicken, gewöhnlichen Mann, möglicherweise einen Onkel, zu einem Geschäftsessen ins Nebenzimmer eines Restaurants. Zwanzig, dreißig Männer sitzen am Tisch. Meine erste Aktion besteht darin, unter dem Tischtuch die Runde zu machen, ihnen nacheinander die Schwänze aus der Hose zu holen und zu lutschen. Ich stelle mir ihre aufgelösten Gesichter vor, während sie sich kurz aus der Unterhaltung ausschalten. Dann steige ich auf den Tisch, sie machen sich einen Spaß daraus, mir verschiedene Dinge hineinzustecken, eine Zigarre, eine Wurst; einer isst eine Wurst zwischen meinen gespreizten Schenkeln. Nach und nach vögeln sie mich ausgiebig. Die einen ziehen mich auf ein Sofa, die anderen spießen mich im Stehen auf, nehmen mich von hinten oder auf dem Tisch, während das Gespräch immer weitergeht. Im Vorübergehen bedienen sich auch Kellner und Oberkellner. Wenn ich beim Masturbieren nicht schon einen Orgasmus hatte, kommt am Schluss das Küchenpersonal. Bei einer Gruppe von Männern zu sein, die ihren Beschäftigungen nachgehen und sie nur unterbrechen, um mich geradezu nachlässig zu nehmen, ist ein immer wiederkehrendes Schema. Durch eine kleine Umstellung wird der Onkel zum Stiefvater und die Geschäftsleute zu Kartenspielern (oder Fußballfans), die mich nacheinander auf einer Couch vögeln, während die anderen weiterspielen (oder im Fernsehen gespannt das Spiel weiter verfolgen).
Mein ganzes Leben lang habe ich diese Geschichten wie ein Fugenkomponist immer wieder aufgenommen, Einzelheiten verändert und weitergesponnen, und meine Fantasien von heute sind mehr oder weniger entfernte Versionen der älteren Geschichten. Darin spielen auch Kinoszenen eine Rolle, die bestimmte Fantasien auslösten. Als Eric Rohmers Die Sammlerin in die Kinos kam, habe ich lediglich einen kurzen Ausschnitt gesehen, möglicherweise in einer Fernsehsendung: In einem Ferienhaus betritt ein Mann ein Zimmer und geht gleichgültig an einem Paar vorbei, das sich gerade im Bett liebt; mit der jungen Frau tauscht er nur einen Blick aus. Meine
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