Das sexuelle Leben der Catherine M.
vor allem erinnere ich mich an die Blicke. Als ich eine Pause machte, über den Horizont des Reißverschlusses hinausblickte und tief Luft holte, sah ich ihren Blick, der die sanfte Ausdruckslosigkeit einer Statue hatte, und ich sah seinen fassungslosen Blick. Heute denke ich, dass ich damals vage verstanden haben muss, dass die Beziehung von Freunden zueinander wie eine Kletterpflanze wuchsen, dass sie sich ausbreiten, drehen und winden und sich in totaler und gegenseitiger Freiheit verbinden konnte, dass es reichte, sich mittragen zu lassen, und dass ich daher auch selber, entschlossen und allein, dazu beitragen konnte. Ich liebe diese paradoxe Einsamkeit.
Die Kunstszene besteht aus einer Vielzahl von Gemeinschaften, von Familien, deren Treffpunkte zu jener Zeit, da ich als Kritikerin anfing, nicht mehr die Arbeitsstätten, Ateliers, Galerien, Zeitschriftenredaktionen waren, sondern die Cafés. Diese kleinen Gemeinden waren natürlich Tummelplätze gelegentlicher Liebesabenteuer. Ich wohnte mitten in Saint-Germain-des-Prés, damals immer noch das Viertel mit den Galerien für zeitgenössische Kunst, und es waren immer nur ein paar Schritte von einer Ausstellung zu einem erotischen Zwischenspiel. Ich erinnere mich, wie ich mit einem neuen Malerfreund durch die Rue Bonaparte ging. Ein zurückhaltender Junge, der nie richtig den Kopf hebt, nicht, wenn er breit übers ganze Gesicht lächelt, nicht, wenn er mich durch seine dicken Brillengläser hindurch anblickt. Ich weiß nicht mehr, wie er mir zu verstehen gab, dass er Lust auf mich hatte – bestimmt sehr vorsichtig (»weißt du, ich hätte Lust, mit dir zu schlafen«), wahrscheinlich hat er mich nicht mal angefasst. Ich musste nicht viel sagen, ich fasse schnell einen Entschluss. Ich nehme ihn mit zu mir, er lässt sich führen, ohne sich bewusst zu sein, dass auch er mich anmacht, indem er mich so ganz unterwürfig und unsicher anschaut. Meine Lust kommt genau in dem Moment, wenn meine Entscheidung getroffen und der andere ein wenig überrumpelt ist. Ich habe dann das berauschende Gefühl, eine Heldentat zu vollbringen. Aber um sein Vertrauen zu gewinnen, habe ich nichts Besseres als die Worte einer Göre, die sich gerade vom elterlichen Joch befreit hat, und sage dümmlich: »Ich will alles.« Er sieht mich immer noch an. Einer, der bei irgendeiner Gelegenheit einmal mit mir ging, gestand mir später, dass meine Mansarde auf ihn wie das Zimmer in einem Stundenhotel und die grobe Tagesdecke wie eine Plane gewirkt hätte, die man sittsam übers Bett gebreitet hatte, um es vor dem zu schützen, was sich dort abspielte!
Wir besuchen zu mehreren eine Ausstellung, die Germano Celant in einem Museum in Genes organisiert hat. Claude, Germano und die anderen gehen vor, ich bin noch mit William, einem Aussteller, im Saal. Hastige, verstohlene Berührungen, er legt seine Hand auf meine Möse, ich packe seinen Prügel in der Hose, erstaunt, dass er so hart ist wie ein lebloser Gegenstand und nicht wie ein Teil eines lebendigen Körpers. Er hat ein ungewöhnliches Lachen, als hätte er den Mund schon voller Küsse. Er macht sich einen Spaß, mir Englisch beizubringen: »Cock, pussy.« Kurze Zeit später ist er auf der Durchreise in Paris. Als wir die Bar Rhumerie verlassen, leckt er mein Ohr und flüstert mit deutlich abgesetzten Worten: »I want to make love with you.« Aneinander gedrückt in einem Dienstboteneingang hinter dem Postamt Ecke Rue de Rennes und Rue du Four, sage ich zu ihm: »I want your cock in my pussy.« Lachen. Der gleiche Weg zu meinem Zimmer in der Rue Bonaparte. William, Henri und viele andere sollten noch oft kommen. Wir vögeln zu zweit oder zu mehreren, oft unter dem Vorwand, dass ein Junge ein Mädchen aufgerissen hat und wir sie überzeugen müssten, dass es viel schöner ist, die Lust mit mehr als einem Partner zu teilen. Das klappt nicht immer; dann muss ich einspringen und sie trösten. Die Jungs verziehen sich auf den Treppenabsatz, um eine zu rauchen. Ich sage nichts, ich liebkose sie, küsse sie zärtlich; Frauen lassen sich leichter von einer anderen Frau rumkriegen. Natürlich hätte sie gehen können, doch das hat keine gemacht, nicht einmal die, zu der Claude noch später freundschaftliche Beziehungen hatte und die ihm zwanzig Jahre später enthüllte, dass sie damals nicht nachgeben wollte und angefangen hatte zu heulen, weil sie noch Jungfrau war. Henri erinnert sich an ein anderes Mädchen, mit dem ich mich in der Küche
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