Das sexuelle Leben der Catherine M.
Bewegungen dem engen Fahrgastraum anzupassen. Zum Glück musste ich keinen Preis nennen und auch nicht in der Kälte stehen. Ich richtete mich auch nicht besonders her. Ich hatte nur einen Mantel oder einen Regenmantel an, den ich beim Einsteigen wie einen Morgenmantel aufklappen ließ. In der Koje eines Lasters an der Porte d’Auteuil, zufällig ein Wagen der großen Kunstspedition International Art Transport, wurde ich sehr ausgiebig geliebt. Der eine Fahrer beschäftigte sich so lange und ausführlich mit mir, dass er mich zu meinem Erstaunen sogar auf den Mund küsste und mich noch weiterstreichelte, als er gekommen war. Der andere verstellte den Rückspiegel und sah zu, dann drehte er sich um, berührte mich aber nicht. Wir unterhielten uns noch lange, es war ein sehr geselliges Zusammentreffen. Eine Koje, in die man sich schmiegen muss, gehört unabdingbar zur kindlichen Welt. Jacques und ich teilten uns eine Koje in einem Liegewagenabteil der zweiten Klasse, als wir während eines Streiks von Venedig zurückfuhren; mit uns belegte es eine größere Familie. Wir mussten uns arrangieren, also nahmen wir eine Koje zusammen, ganz oben, wo es heiß ist und wohin man nicht ohne ein riskantes und lächerliches Manöver gelangt. Die Eltern nahmen die beiden Kojen unter uns, die Rinder mussten sich recht und schlecht in den restlichen drei einrichten. Wir legten uns also in eine Faulenzerstellung, aus der die Menschen noch lange sichersten Genuss ziehen können, auch wenn sie das Kamasutra vergessen. Unsere beiden Körper waren aneinander geschmiegt, ich wärmte meinen Hintern an Jacques’ Schoß. Als alle Nachtlampen gelöscht waren, zogen wir die Hosen aus und vögelten ausgiebig und tief, ohne ein Wort, ohne gar ein kleines Stöhnen als Seufzer des Wohlbefindens, ohne eine andere Bewegung als die kaum wahrnehmbare Kontraktion des Hinterns, wobei man kaum das Becken bewegt. Wer seine Lust im ungewollten Zusammenleben auf engstem Raum befriedigen musste (Schlafraum im Internat, enge Wohnungen …), weiß, wovon ich spreche: Wenn die Lust den Höhepunkt erreicht hat, hat sie die absolute Stille und die nahezu völlige Versteifung des Körpers aufgesogen. Natürlich kann man später diese Situation der Enge künstlich wieder herstellen; viele suchen sich dafür Plätze, die völlig unverdächtig, gleichzeitig aber auch sehr exponiert sind. Ich achtete auf den Atem der anderen, dessen Gleichmäßigkeit unterbrochen wurde, wenn der Zug stark rumpelte, denn ich hatte Angst – ich, der es egal gewesen wäre, mich auf dem Bahnsteig auszuziehen, wenn Jacques von einer Fantasie überwältigt worden wäre und mich darum gebeten hätte –, ich hatte Angst, dass die Kinder erraten könnten, was wir da taten. Seit ich mit meiner Mutter in einem Bett geschlafen hatte, hatte ich die Rolle getauscht, früher war ich diejenige gewesen, die sich heimlichen Aktivitäten hingab, nun aber war ich die Erwachsene, die befürchtete, die Reaktionen des Kindes nicht mitzubekommen. In Wahrheit habe ich nie mein früheres Schamgefühl abgelegt, das umso hartnäckiger war, weil einem mit den Jahren die Überlegenheit des Kindseins gegenüber dem Erwachsensein erst so richtig bewusst wird. Ich hatte also nicht Angst vor dem Urteil der Erwachsenen, sondern vor allem der Kinder. Ich fürchtete nicht, vor ihren Augen etwas zu tun, das sie möglicherweise noch nicht kannten, sondern etwas Ernstes zu tun, etwas Kostbares, das man nicht leichtsinnig in die Öffentlichkeit tragen sollte. Da ich auch Beziehungen mit Familienvätern hatte, hätte ich zwei Mal fast eine sehr viel eindeutigere Szene geliefert als meine Mutter, die ihren Freund heimlich küsste. In der ersten und einzigen Nacht, die ich mit Robert bei ihm zu Hause verbrachte, blockierte er die Türklinke mit einer Stuhllehne. Und ich sagte bei mir: Tja, diese Dinge, die man in alten Liebesfilmen sieht – das gibt es wirklich! Am Morgen rüttelte seine Tochter an der Tür, sie wollte ihren Vater sehen, bevor sie zur Schule ging. Er rief, sie solle sich fertig machen, er würde kommen. Das tat er auch. Beim Mittagsschlaf in den Ferien rief Erics Sohn hinter dem Baumwollvorhang, der das Zimmer abtrennte, nach seinem Vater. Eric löste sich von meiner Brust, fuhr auf wie der Deckel eines Kastens, der im Scharnier baumelt und schrie in seiner Bestürzung, als wäre aus diesem Rasten der Teufel persönlich herausgesprungen: »Hau ab! Hau ab und lass mich schlafen!« Beide Mal fühlte ich mich
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