Das sexuelle Leben der Catherine M.
wie das angeschnauzte Kind.
Wenn man bei Wind mit dem Motorrad einen großen Laster überholt, kommt irgendwann der Moment und der Wind erwischt einen. Dann ist man auf gleicher Höhe mit dem Laster, kurz bevor man wieder nach rechts einschwenkt. Der Fahrtwind verursacht eine doppelte Drehung des Oberkörpers. Erst wird eine Schulter nach vorn gedreht, die andere nach hinten und genauso jäh geht die Bewegung in die umgekehrte Richtung. Wie ein Segel, das im Wind schlägt. Einige Sekunden zuvor schießt man in den Raum, der sich geöffnet hat. Plötzlich schließt sich der Raum wieder, schüttelt einen, wird brutal. Ich liebe dieses Gefühl und ich kann es auch in ganz anderen Situationen erkennen. Wenn man sich mitten in einem Raum fühlt, der sich öffnet und wieder schließt, sich weitet und wieder zusammenzieht. Wie ein Gummi, das man zieht und aus Versehen loslässt, es schnellt zurück und peitscht die Hand, die es gehalten hat. So ist man in diesem Raum in kurzen Sequenzen abwechselnd ein Subjekt, das seine Umgebung aufnimmt (sei es auch nur mit dem Blick), und ein Objekt, das genommen wird. So ist es unerwartet auch in einem Sex-Shop. Ich begleitete Eric gern dorthin. Er war immer über das Neueste auf dem Laufenden, vor allem was Videos betraf, und während er den Verkäufer mit seinen immer sehr genauen Wünschen beschäftigte, schlenderte ich durch den Laden … Ein Mädchen spreizt mit manikürten Fingern ihre hellrote Vulva, der Kopf leicht angehoben, der Blick wandert über den Körper wie der Blick eines Kranken, der am Ende der Trage seine Beine sucht; ein anderes Mädchen hockt in der üblichen Pose eines Pin-up auf den Absätzen und greift unter ihre schweren Titten, die größer sind als ihr Kopf; ein junger Mann im dreiteiligen Anzug packt seinen Schwanz und streckt ihn einer reifen Frau auf der Schreibtischkante hin (Rechtsanwältin oder Managerin); oder gestylte Bodys für die homosexuelle Kundschaft, eingeschnürt in Tangas, die vergleichsweise winzig aussehen. Egal, welches Bild mir als Erstes ins Auge sprang – eine Zeichnung, ein Foto, ein Kinobild, ob naturalistisch oder karikiert (ein Modell in Unterhosen aus einem Versandhauskatalog; eine Ejakulation quillt in großen Tropfen über die Bildränder eines Comics) –, eigentlich jedes Bild verursacht mir auf den ersten Blick das charakteristische Kribbeln im Schoß. Ich blätterte in den ausliegenden Magazinen, ging weiter, besah die eingeschweißten Zeitschriften. Ist es nicht wunderbar, dass man sich ganz offen erregen kann, unter den Augen und mit dem Wissen der anderen Kunden, die das Gleiche tun, auch wenn alle sich so verhalten, als betrachteten sie die Auslagen am Drehständer eines Zeitungsstands? Hat man dort nicht Anlass, das offensichtliche Desinteresse zu bestaunen, mit dem man Bilder oder Objekte betrachtet, die einen zu Hause ganz verrückt machen würden? Ich genoss es, mich in eine Zauberwelt zu versetzen, wo alle Läden unter anderem das gleiche Warenangebot hatten und man, ohne es sich anmerken zu lassen, ganz heiß wurde in der Betrachtung von Körperteilen, die im Vierfarbdruck authentisch feucht wirken und die man ohne Scham dem Blick der Nachbarn nebenan aussetzt. »Entschuldigen Sie, dürfte ich Ihr Magazin ausleihen?« – »Natürlich.« Die gelassene Eindeutigkeit in einem Sex-Shop dehnt sich auf das gesamte gesellschaftliche Leben aus.
Das Hinterzimmer mit der Peepshow zu betreten ist, wie zu spät ins Theater zu kommen. Man tritt ein in die Dunkelheit, in einen Gang, der im Kreis um die »Logen« herumführt. Man muss der Aufschließerin kein Trinkgeld geben, man bekommt im Gegenteil Kleingeld, um das Fensterchen zu erleuchten, das auf ein Drehbett sieht, wo ein Mädchen oder ein Paar mit unwirklicher Langsamkeit Verrenkungen vollführen. In der Kabine ist es so dunkel, dass ich nie etwas sehe, nicht mal die Wände; es ist wie in einem leeren Raum. Aus dem Raum hinter dem Fenster kommt jedoch gedämpftes, bläuliches Licht, das einen Strahl auf die Wurzel des Schwanzes wirft, den ich im Mund habe, und der sichtbare Raum reduziert sich für mich auf dieses abgetrennte Stück zerknautschten Fleischs mit pieksenden Härchen, das ich mit gleichmäßigen Bewegungen in den Mund gleiten lasse. Manchmal ruft Eric den Mann an der Kasse und lässt einen Schein in weitere Zehn-Francs-Münzen wechseln. Wenn ich mich zum Fensterchen drehe, erkenne ich die Hände nicht, die über meinen nackten Arsch gleiten, weder die
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