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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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Hände noch meinen Hintern, der mir vorkommt, als sei er ganz weit weg von mir, als sei auch er auf der anderen Seite des Fensters. Kaum waren wir in der Kabine, betasteten wir uns blind, den Blick auf die Szene geheftet, die wir kommentierten. Wir sind uns einig, dass das Mädchen eine schöne Möse hat. Der Körper des Mannes ist zu weichlich. Eric will, dass wir Mädchen uns beide wichsen, ich frage, ob wir das Mädchen nachher treffen können usw. Dann holt uns das Spiel ein; das Paar im bläulichen Licht wird ganz unwirklich, ist nicht mehr als eine ferne, kaum bewusste Projektion, Bilder, die jene in ihrem Gehirn formen, die sich im Dunkeln betätigen. »Mrm«, kommt es gedämpft aus dem Schatten, der auf meinem Rücken wippt, und er drückt sich ein wenig fester an meinen Arsch.
    Der Austausch zwischen der Szene, die man sieht, und dem, was man tut, wenn man in einer Peepshow vögelt, vollzieht sich in der Fantasie nicht so fließend, wie wenn man ein Video oder einen Film im Fernsehen ansieht und sich von Zeit zu Zeit aus seiner eigenen Umarmung löst, die Handlung auf dem Bildschirm weiter verfolgt, dort den Vorwand für einen Stellungswechsel findet. Während das Flimmern der Pixelpunkte die Grenzen verschwimmen lässt, bis der dargestellte Raum fast eine Erweiterung des Raums ist, in dem man sich befindet, ist das Fensterchen der Peepshow eine Zäsur, die die Trennung zwischen zwei symmetrischen Situationen markiert, die man zwar durchbrechen kann, die aber spürbar bleibt. Zwei weitere Faktoren tragen zu diesem Eindruck bei: Der Pornofilm hat einen Handlungsstrang, er bindet die Aufmerksamkeit, auch wenn er sehr schematisch ist, die Handlung in einer Peepshow hingegen entwickelt sich wenig. Während man also den ganzen Film ablaufen lassen oder die Nacht vor dem Bildschirm verbringen kann, hat die schwarze Kabine eine Grenze, die Grenze der gemessenen Zeit, der Zeit, die zerhackt wird durch die Stopps des Zeitzählers.
    Wer hat keine Erinnerung ans Knutschen, an diese gierigen Küsse, wenn auf einmal die Zungen all ihr Muskelspiel entfalten, plötzlich eine immense Länge und Saugkraft haben und sich gegenseitig, den ganzen Mund und die Lippen des anderen erkunden und dem Begriff »Zungenkuss« alle Ehre machen? Fanden diese Szenen nicht in einer Tür statt, am Fuß einer Treppe oder in der Enge eines Hauseingangs, dort, wo immer die Lichtschalter sind, auf die man sich gerade nicht stützen wollte? In der Jugend, wenn man selten einen Raum für sich hat, muss man sich dem fleischlichen Genuss in halböffentlichen Räumen wie Torwegen, Treppenhäusern und Treppenabsätzen hingeben. Weiter oben sagte ich schon, dass sich besonders die Stadtjugend in verbotenen Räumen ihre Intimsphäre erobern muss. Der Sexualtrieb, den die Zivilisation ins stille Kämmerchen verbannt hat, verschafft sich zunächst nicht hinter einer Schlafzimmertür spontan und offen sein Recht, sondern an Durchgangsorten, die für alle da sind und wo höfliche Zurückhaltung ihre höchste Ausformung erlebt. »Guten Tag. Guten Abend. Entschuldigen Sie bitte. Nach Ihnen …« Wie oft hatte ich dort, wo mir Nachbarn normalerweise die Tür aufhalten, steife Nippel unter einer tatschenden Hand? Selbst als unabhängige Frau konnte ich masochistisch ungeduldig sein in einer gekachelten Eingangshalle, die durch ein Oberlicht vom Schein der Straßenlaternen erleuchtet wird, und mich schütteln lassen wie ein Sack, wenn ich auf einer Heizung saß, die Knie bis zum Kinn angezogen, und mir die gusseisernen Rohre bei jedem Stoß ein wenig mehr in den Hintern schnitten. Sollte man sich demnach nicht fragen, ob die Lust an der Grenzüberschreitung, die Erwachsene dazu treibt, sich zum Sex solche und noch belebtere, unbequemere und ungewöhnlichere Orte auszusuchen, nicht einer Transgression entspringt, die man »primär« nennen könnte, und ob diese »Perversität« nicht auf das Konto einer lässlichen Unreife geht?
    Bevor ich die Schnitzeljagden im Bois de Boulogne oder in der Manege der Porte-Dauphine kennen lernte, gaben mir die Spritztouren mit Henri und Claude Anlass, dieses verstohlene und manchmal sehr massive Betatschen in Pariser Wohngebieten zu pflegen. Zu nachtschlafender Stunde verirrten wir uns auf der Suche nach der Wohnung einer Freundin in einer Siedlung. Sie ist zwar Künstlerin und gibt sich ungezwungen, doch sie ist bürgerlich – sie wohnt am Boulevard Exelmans – und ist außerdem die Geliebte von Henris und meinem »Chef«.

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