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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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Zeltplane, durch die sandfarbenes Licht drang. Im Nachbarzelt war eine Familie, ich hörte, wie die Frau entrüstet fragte: »Was machen sie nur da drin? Gehen die denn nie raus!« Und der Mann antwortete ganz ruhig: »Lass sie! Sie sind müde. Sie schlafen.« Trotzdem krochen wir einmal aus unserer Höhle und aßen in einem kleinen Café. Ich war etwas benommen. Als wir wieder zum Zelt zurückgingen, sah ich, dass der Strand und der Campingplatz ganz von einer Klippe abgeschnitten waren, die ins Meer ragte.
    Ich weiß nicht mehr genau, wie mich meine Eltern wieder holten, aber es ging nicht ohne Drama ab und es war auch nicht für lange. Einige Wochen später fuhr ich nach Lyon, und ein paar weitere Wochen später zog ich zu Claude. Die Flucht nach Dieppe hatte aus mir »eine Frau gemacht«. Und ich hatte mir das Recht erworben zu machen, was ich wollte. Rückblickend scheint mir jedoch die Tollerei im Zelt ein kindliches Spiel gewesen zu sein. Es erinnert mich daran, wie ich mich als Mädchen beim Ausziehen vor den Blicken der Erwachsenen schützte und das Laken über den Kopf zog, um mir den dürftigen, aber lebensnotwendigen Raum eines eigenen kleinen Heims zu schaffen. Tut man etwas Verbotenes an einem Ort, wo das Gesetz gilt, schlecht geschützt durch eine kleine oder durchlässige Sichtblende, durch Laub oder durch eine Hecke aus Komplizen, entspringt das zum Teil demselben Spieldrang; es ist ein elementarer Mechanismus der Transgression, der paradoxerweise weniger zur Extrovertiertheit als vielmehr zur Introvertiertheit gehört. Man stellt sich nicht zur Schau – man kapselt sich in seiner intimen Lust ab und tut so, als würde man nicht wissen, dass es Zuschauer schockieren könnte, die darauf nicht vorbereitet sind und die es sogar verhindern könnten.

3 Der geschlossene Raum
Nischen
    Die Erkundung der abgeschlossenen Räume am Stadtrand von Paris schenkt mir nicht nur das Glücksgefühl der Weite, sie schenkt mir auch das Glücksgefühl eines Versteckspiels. In einer ziemlich menschenleeren Straße zwei Schritte von der russischen Botschaft entfernt, fand ich einmal Zuflucht auf der Ladefläche eines Transporters der Pariser Stadtwerke; wahrscheinlich war einer der Männer in der Gruppe städtischer Angestellter. Die Männer kamen nacheinander herein. Ich hockte und lutschte oder ich lag mit angewinkelten Beinen auf der Seite, damit mein Arsch in der besten Stellung war und sie mich leichter nehmen konnten. Dort gab es natürlich nichts, was den Kontakt mit dem Wellblech abdämpfen konnte, und die Stöße taten mir ziemlich weh. Doch ich hätte die ganze Nacht dort kauern können; ich war weniger verkrampft durch die missliche Stellung, als vielmehr betäubt durch die Atmosphäre in dieser fast unwirklichen Nische, wo ich mich zusammengerollt hatte und döste wie in einem diffusen Traum, wo man sich dabei zusieht, wie man hineingleitet. Ich konnte immer an derselben Stelle bleiben. In regelmäßigen Abständen ging die Tür auf, der Mann sprang hinaus, eine neue Silhouette schlüpfte herein. In diesem kleinen klapprigen Wagen war ich die reglose Götze, die ohne mit der Wimper zu zucken die Huldigungen einer Prozession von Anbetern entgegennimmt. Ich war die, die ich mir in einer meiner Fantasien zu sein vorstellte; beispielsweise in der Concierge-Wohnung, hinter dem Vorhang vor dem Bett schaut nur mein Arsch heraus und bietet sich der langen Reihe von Männern an, die aufstampfen und sich anpöbeln. Ein 2CV-Transporter ist so gut wie eine Concierge-Wohnung. Doch ich kam unter meinem Wellblechbaldachin hervor, bevor alle dran waren. Eric stand Schmiere; er sagte mir am nächsten Tag, die Männer seien zum einen so erregt gewesen, dass sie sich danebenbenommen hätten, zum anderen wäre der Wagen fast umgekippt.
    Die Kabinen in Lastwagen sind besser geeignet, sie haben vor allem eine Koje. Immer wenn ich die Mädchen am Straßenrand stehen sehe – ihr Körper ein Flickwerk aus winzigen Accessoires, hoch gedrückte Brüste, die aus dem Ausschnitt der Corsettage blitzen, die Corsettage passt nicht zum Minirock, der Strumpfhalter lugt unter dem Rock hervor … – dann muss ich an den Schwung denken, mit dem sie aufs Trittbett steigen und zum Freier hineingehen müssen, der angehalten hat. Ich kenne diesen Impuls, den man dem Körper bei diesem kurzen Aufstieg geben muss, er pflanzt sich fort und trägt ihn bis zu den beiden stämmigen Burschen, die ihn sanft empfangen, weil sie es gewöhnt sind, ihre

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