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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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das Zahnfleisch. Doch ich habe vor dieser Grimasse keine Angst, denn sie drückt keinen Schmerz aus, sondern eine fürchterliche Anstrengung, eine übermäßige Hartnäckigkeit, und ich bin stolz, dass ich diese Kraft aushalten kann.
Geduld
    Über einen weiten Lebensabschnitt habe ich ganz naiv gevögelt. Mit Männern zu schlafen war für mich eine natürliche Sache und beschäftigte mich nicht groß. Von Zeit zu Zeit bekam ich einige der damit verbundenen psychischen Probleme (sich betrogen fühlen, verletzte Eigenliebe, Eifersucht), aber sie gingen einfach in die Bilanz von Soll und Haben ein. Ich war nicht sehr gefühlsduselig, ich brauchte Zuneigung und fand sie, doch ich hatte nie das Bedürfnis, auf sexuellen Beziehungen Liebesgeschichten aufzubauen. Wenn ich in jemanden verknallt war, wusste ich immer, dass ich einem Charme erlag, einer körperlichen Verführung, ich wusste auch, dass manche Beziehungen grotesk waren, aber ich verlor mich nie darin. (Ich hatte gleichzeitig eine Beziehung zu einem älteren und zu einem jüngeren Mann, und es gefiel mir, von der Rolle des kleinen Mädchens in die Rolle der Beschützerin zu wechseln.) Wenn ich mich darüber beklagte, wie schwierig es war, vier oder fünf Beziehungen gleichzeitig auf die Reihe zu bekommen, sagte ein guter Freund, dass nicht die Anzahl das Problem sei, sondern es sei schwierig, eine Balance zu finden, und er riet mir, mir noch einen sechsten Liebhaber zu nehmen. Ich war daher fatalistisch eingestellt. Auch die Qualität der sexuellen Beziehung kümmerte mich nicht. Wenn der Mann mir keine große Lust verschaffte oder wenn er mir sogar Unlust verursachte oder wenn er Dinge von mir verlangte, die nicht sonderlich nach meinem Geschmack waren, spielte das keine große Rolle, in der Mehrzahl der Fälle überwog die freundschaftliche Seite der Beziehung. Selbstverständlich kann auch die Freundschaft zu einer sexuellen Beziehung führen; das gab mir eher Sicherheit, denn ich brauchte die Anerkennung meiner ganzen Person. Ob ich dabei unmittelbare sinnliche Befriedigung fand, war zweitrangig. Auch das war in der Bilanz ausgeglichen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich bis etwa 35 nicht davon ausging, dass meine eigene Lust Zweck einer sexuellen Beziehung wäre. Ich hatte es nicht begriffen.
    Meine wenig romantische Veranlagung hinderte mich nicht, reichlich »ich liebe dich« zu verteilen, immer nur genau in dem Moment, da der Motor im Unterleib meines Partners aufheulte. Oder ich rief wieder und wieder seinen Namen. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee kam, es könnte ihn anfachen, seine Lust auf den Höhepunkt zu treiben. Ich war umso großzügiger mit diesen rein zweckmäßigen Liebeserklärungen, als sie für mich keinerlei tiefere Bedeutung hatten und ich sie nicht unter irgendeiner Gefühlsaufwallung aussprach, nicht einmal in der Ekstase, die solche Gefühle mit sich bringen könnte. Ich wandte einfach mit kühlem Kopf eine Art technischen Trick an. Doch mit der Zeit verzichtet man auf solche Kniffe.
    Romain war ein junger, sehr sanfter, fast träger Mann hinter einer sehr männlichen Erscheinung, mit einem Perfecto auf einem ungebügelten Junggesellen-T-Shirt. Auch er wohnte in einem Zimmer in Saint-Germain-des-Prés, im kahlsten Zimmer, das ich kenne. Wir vögelten mitten im Zimmer auf einer Matratze direkt auf dem Teppichboden, und das Licht der Deckenlampe schien mir ins Gesicht. Das erste Mal starrte ich immer in die Glühbirne und merkte gar nicht, dass er gespritzt hatte. Seine Brust lag auf der meinen, ohne schwer zu sein, sein Kopf war zur Seite gedreht. Ich spürte nur ein paar Strähnen seiner langen Haare auf Mund und Kinn. Ich hatte kaum gespürt, wie er in mich eingedrungen war und ein paar schwache Stöße gemacht hatte. Auch ich blieb reglos und verlegen liegen, ich wollte ihn nicht stören, falls er noch nicht fertig war. Doch hätte ich mich in diesem Fall nicht besser bemerkbar machen und ihn wieder in Schwung bringen sollen? Und wenn ich mich bewegte und die Sache vorbei wäre – würde ich dann nicht dumm dastehen, weil ich es nicht gemerkt habe? Dann spürte ich, wie etwas an meinem Schenkel hinunterlief, ein bisschen Sperma aus meiner Scheide. Romains Glied war normal groß, es wurde normal steif, aber es war völlig passiv. Wenn ich diesen Schwanz personifizieren wollte, würde ich ihn mit einem Neubekehrten vergleichen, der sich nicht vom Fleck rührt, wenn alle Teilnehmer einer Zeremonie aufstehen, und man

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