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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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anderen, um selbst zu spüren, was der andere spürt. Und das ist nicht nur so dahingesagt: Ich habe mich schon dabei ertappt, wie ich nervöse Ticks oder spezielle Ausdrucksweisen anderer Leute nachahmte. Das heißt auch, dass ich oft mein eigenes Vergnügen hintanstellte. Es hat lange gebraucht, bis ich herausfand, welche Berührungen, welche Stellungen mir am angenehmsten waren. Ich würde sogar sagen, mir war nicht von Anfang an ein Körper geschenkt, der Lust empfinden konnte. Zuerst musste ich mich im wahrsten Sinne des Wortes blindlings in die sexuelle Aktivität stürzen, um mich so weit zu vergessen, dass ich mit dem anderen verschmolz und nach der Häutung, als ich diesen mechanischen Körper ablegte, der mir bei der Geburt gegeben wurde, einen anderen Körper anlegen konnte, einen Körper, der geben und nehmen kann. In wie vielen Körpern, in wie vielen beobachteten Gesichtern war ich in der Zwischenzeit aufgegangen!
    Bis auf wenige Ausnahmen erinnere ich mich ziemlich genau an die Körper meiner hauptsächlichen Partner und auch an ihren Gesichtsausdruck in jenem Moment, da der andere Teil ihres Wesens verschwand. Mit diesen Bildern sind krampfartige Bewegungen und spezielle Ausdrucksweisen jedes Einzelnen verknüpft. Die Beobachtung zieht nicht automatisch ein Urteil nach sich, aber wenn sie eingehend ist, hält man eine gewisse Objektivität aufrecht. Auch wenn ich vom schönen Körper eines Mannes angezogen wurde, habe ich den Unzulänglichkeiten, die jeder Faszination ein Ende machen, nicht weniger Beachtung geschenkt. Zum Beispiel diesem rundlichen Gesicht, geschmückt mit zwei Mandelaugen, doch der Schädel war hinten abgeplattet und erinnerte mich im Profil immer an einen zusammengedrückten Ball. Eine Vierteldrehung -und der, dessen Gesicht mit einem Renaissance-Porträt vergleichbar war, hatte kaum mehr Tiefe als das Gemälde von der Seite betrachtet. Wenn ich durch eine Porträtgalerie gehe, ertappe ich meine Erinnerung und meine Beobachtungsgabe bei ihrer Fehlbarkeit; paradoxerweise hinterließ ein Mann, dessen Schönheit mich besonders anzog – der Einzige übrigens, der jünger war als ich – bei mir kein Andenken an unseren Sex. Sein Gesichtsausdruck, seine Haltung, seine Worte kommen mir oft in den Sinn, aber nichts davon hatte ich beim Vögeln aufgeschnappt.
    Wollte die Natur denn die Männer vor der Gefahr bewahren zu zerreißen, wenn ihre Muskeln ganz angespannt sind, und hat sie diese Spannung ausgeglichen, in dem sie ihr Gesicht mit einer friedlichen Miene überzog? Oder kehren sie am Ende einer Strecke, die ihren Körper ganz erhitzt hat, um, als würden sie sich unter einem Brunnen abkühlen? Viele setzten eine ernste Miene auf – nicht jedoch der Mann mit dem Renaissance-Gesicht. In meiner Erinnerung folgen viele dieser friedlichen Gesichter aufeinander – eines schürzt die Lippen, und weil über den Lippen ein Schnurrbart ist, sieht es so dümmlich aus wie ein Kind, das sich in seiner Verkleidung verfangen hat; ein anderes Gesicht zeigt ein dünnes Lächeln, das auch Verlegenheit sein und die Entschuldigungen einer schamhaften Person begleiten könnte, die man in einer kompromittierenden Situation erwischt hat. Aber im Gesicht dieses Mannes, das normalerweise ganz glatt war, sehe ich im Gegenteil die Maske unterdrückten Schmerzes. Dabei war er in entscheidenden Momenten ganz pathetisch, rief das Übliche: »Ich komme, ich komme!« und fügte dem auch noch hinzu: »Ah, mein Gott!« Was so ulkig war, dass ich es mir einfach merken musste.
    Doch Ruhe kann auch mit Gleichgültigkeit einhergehen. Ich kannte einen Mann, der so in sich selbst ruhte und sich so von seiner äußeren Erscheinung abkoppelte, dass sein Äußeres nichts mehr ausdrückte. Sein Körper fiel mit all seinem Gewicht auf mich, natürlich bewegte er sich, war aber ohne Gefühl, als hätte er seinen Körper bei mir abgelegt, und sein ausdrucksloses Gesicht lag an meinem, während ich wie in einem Fantasy-Film hätte sehen können, wie sein Geist auf dem Orgasmus über uns hinwegschwebte. Denselben Körper sah ich, wenn der Mann, ohne sich an meiner Anwesenheit zu stören, auf eine Weise onanierte, die ich nur an ihm kannte. Er lag auf dem Bauch, die Arme angezogen an den Seiten, und drückte sein Glied mit unsichtbaren Kontraktionen seiner kräftigen Schenkel. Sein Körper war untersetzt, die Muskeln noch dicker in dieser Haltung. Ich, eine routinierte Anhängerin des Masturbierens, bewunderte die Konzentration,

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