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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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Körper ausgeübt wurde, hatte sie das Gesicht nach vorn geschoben und es war so entstellt wie jedes Objekt, das zu nah am Objektiv ist. Man hörte die Ausrufe des Mannes: »Schau! Schau in die Kamera!«, und der Blick der Frau traf den Blick des Zuschauers. Ich frage mich, ob er sie nicht auch noch an den Haaren zog, damit sie den Kopf mehr anhob. Dieses Szene inspirierte mich sehr zu kleinen Geschichten, die mich bei der Masturbation unterstützen. Im wirklichen Leben verschaffte mir ein Mann, den ich nur einmal traf, so eine große Lust, dass ich mich heute noch genau daran erinnere; und zwar bat er mich bei jedem Stoß seines Schwanzes flehentlich: »Sieh mir in die Augen!« Ich tat es und wusste, er war Zeuge der Auflösung meines Gesichts.
Die Fähigkeit, im anderen aufzugehen
    Dass in Pornofilmen der Orgasmus immer gleich dargestellt wird, ist schlecht. Fast immer kommen sie nach einigen beschleunigten Stößen, mit geschlossenen Augen, offenem Mund, und sie schreien. Es gibt aber auch Orgasmen in der Reglosigkeit und in der Stille; man spürt sie kommen und sich entfalten. Wenn man Begierde entfachen oder verstärken will, greift man wie im Film so auch im wirklichen Leben auf Klischees zurück. Es sind fast immer die gleichen Worte, ob sie nun obszön sind oder nicht, die jemand im Mund führt. Männer wollen häufig, dass man sie und ihren Schwanz einfordert (»Willst du den fetten Schwanz? Antworte!«, »Bettle darum! Komm schon, bettle!«), während Frauen eher zur Unterwürfigkeit neigen und nach schrecklichen Verwundungen schreien, auch wenn sie sonst ganz unabhängig sind (»Mach mich platt!«, »Noch mal! Zerreiß mich!«) Wenn ich sehe, wie ich auf einem Video breit das Sperma verreibe, das auf meine Brust gespritzt ist, frage ich mich, ob ich nicht eine Geste wiederhole, die ich schon Dutzende von Malen auf dem Bildschirm gesehen habe. Die Spritzer schäumten weniger als im Film, waren aber trotzdem sehenswert. Das Sperma lässt meine Haut glänzen. Benutzten Frauen und Männer die gleichen Phrasen und setzten sie ihre erotischen Gesten nach den gleichen Mustern ein wie vor der Erfindung des Films? Doch je heftiger der Orgasmus ist, desto weniger Kintopp ist er. Das kann ich an mir selbst bestätigen. Je größer die Lust wird, desto mehr bewege ich mich, nicht nur das Becken, ich rudere mit Armen und Beinen. Wenn ich auf dem Rücken liege, gebe ich meinem Partner immer wieder die Sporen, kicke mit den Fersen gegen seine Arschbacken und seine Schenkel. Dann kommt eine Phase, in der diese Wildheit abflaut. Der andere krallt sich nur noch in einen Haufen regloses Fleisch. Die Stimme verändert sich. Schon wurde auf die vielen Worte verzichtet, der Dialog ist einsilbig geworden. Ich sage: »Ja, ja, ja, ja.« Vielleicht begleite ich diese Litanei mit einem Hin- und Herwerfen des Kopfs, oder ich sage immer wieder: »Weiter, weiter!« Und plötzlich wird die Stimme wieder klar und klangvoll, hat wieder die Artikulation und Autorität eines Schauspielers, der gelernt hat, seine Stimme einzusetzen, die Worte sind abgehackt, die Silben betont: »Wei-ter!« Manchmal wird aus dem Ja ein Nein, und auf bestimmtem Bildern sehe ich, wie mein Gesicht hinter meinen Händen verschwindet.
    Ich würde nicht den Beruf ausüben, den ich ausübe, und ich wäre übrigens auch nicht im Stande, heute alle diese Notizen zusammenzutragen, wenn ich nicht über eine gewisse Beobachtungsgabe verfügte. Eine Gabe, deren ich mich umso besser bedienen kann, als sie mit einem starken Über-Ich zusammengeht. Ich lasse mich nicht leicht gehen, und in den Momenten, wo man angeblich ganz selbstvergessen ist, liege ich oft noch auf der Lauer. Ich habe meinen Partnern immer sehr viel Aufmerksamkeit entgegengebracht – natürlich nur jenen, an deren Namen ich mich erinnere –, aber egal, wie eng meine Beziehung zu ihnen war, ob es eine vorübergehende Bekanntschaft oder eine dauerhafte Verbindung war. Diese Aufmerksamkeit dürfte derselben Wahrnehmungsstruktur angehören wie die Konzentration, mit der ich ein Gemälde betrachte, oder die Fähigkeit, in der Metro, im Restaurant oder in einem Wartesaal buchstäblich in der Betrachtung meiner Nachbarn zu versinken. Eine Aufmerksamkeit, die mein Können bewirkt hat. Ich rühme mich, ziemlich gut zu sein, und wenn ich es geworden bin, dann, weil ich immer die Wirkung meiner Handlungen abgewogen habe. Wie ich am Anfang dieses Kapitels schrieb, schlüpfte ich immer gleich in die Haut des

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