Das Siebte Kind - Das Geschenk der Telminamas (German Edition)
zaghaft.
„So nennt man mich hier“, antwortete die alte Frau freundlich, aber ihre Stimme kratzte fürchterlich dabei. „Deine Mutter hat dich also endlich geschickt.“
Sid schluckte. Die Kräuterheilerin war ihm unheimlich. „Ja, sie hat dich nicht vergessen“, sagte er unsicher.
„Das hätte mich auch sehr gewundert“, meinte Hilgaard und drehte sich um. „Komm, Jungchen, pack deine Sachen und begleite mich zu der Höhle, in der ich wohne.“
Sid bückte sich zögerlich und rollte seine Decke zusammen, um sie in seinem Rucksack zu verstauen. „Ich heiße übrigens Sid“, sagte er.
„Zweifellos ein sehr schöner Name“, erwiderte die alte Weise, während sie sich daran machte, ins Dickicht des Waldes zurückzukehren.
„Kraaah! Kraah! Kraaah!“, schrie Roba aufgebracht.
„Ja, Roba, dein Name ist auch sehr schön“, hörte Sid die Alte murmeln.
„Warte“, rief er. „Ich brauch noch einen Moment!“
Doch Hilgaard schritt unbeeindruckt weiter. „Ich bin nicht so schnell“, sagte sie beruhigend. „Du wirst mich leicht einholen.“ - „Und du, Roba, du bist mir zu schwer. Sei brav und flieg wieder in den Wald zurück.“ Mit diesen Worten verschwand Hilgaard unter den Nadelbäumen.
Sid war sehr nervös, als er wenig später neben Hilgaard durch den Bergwald wanderte. Eigentlich hätte er froh sein können, dass er ohne umständliche Sucherei auf die alte Frau getroffen war, aber gerade die unerklärliche Art ihrer Begegnung hatte ihm Angst gemacht. War Hilgaard etwa eine Zauberin? Wo würde sie ihn hinschicken? Und welche Gefahren lauerten auf seiner weiteren Reise? All dieses Fragen brannten in Sids Innerem wie ätzende Säure und er spürte, dass das Abenteuer für ihn erst jetzt so richtig begonnen hatte.
Schweigend ließ er sich von Hilgaard durch das grüne Dickicht führen, vorbei an Tannen, deren Stämme so dick waren, dass Sid sie mit seinen Armen nur etwas über die Hälfte umfassen konnte, und vorbei an kleinen Wasserfällen, die rechts und links an den steilen Berghängen herab stürzten und irgendwann als winzige Bächlein in den Nimma-Fluss mündeten.
Es mochte wohl eine Stunde vergangen sein, als vor Sid plötzlich eine nackte Felswand nahezu senkrecht in den Himmel ragte. Hilgaard steuerte auf eine kleine Spalte in dem schwarzgrauen Gestein zu und winkte Sid näher zu sich heran.
„Hier wohne ich, Sid, und hier beginnt deine eigentliche Reise“, erklärte die Kräuterfrau und forderte ihn auf, ihr in die Höhle zu folgen, die sie für sich als Behausung beanspruchte. Nach kurzem Zögern und mit äußerst mulmigem Gefühl im Magen kletterte Sid hinter der alten Frau in den finsteren Hohlraum.
Die absolute Stille, die hier herrschte, drückte Sid eigenartig auf die Ohren. Er versuchte irgendetwas um sich herum zu erkennen, aber alles war vollkommen schwarz. Plötzlich flackerte eine zaghafte Flamme auf, und er sah Hilgaards Umrisse. Eine Kerze begann zu leuchten und dann noch eine und noch eine, und dann konnte Sid Hilgaards Wohnstätte genauer untersuchen. Die Höhle war nicht besonders groß, aber sie schien im hinteren Abschnitt noch einen Gang ins tiefere Innere des Felsens zu besitzen. Zu Sids rechter Hand befand sich Hilgaards bescheidene Küche: eine Feuerstelle und daneben ein Haufen Geäst, das als Brennmaterial diente. Eine Pfanne und mehrere Vorratsbehälter aus Ton standen auf einem wackligen Regal an der Wand. Sid trat neugierig näher und erkannte in der Düsternis, dass sie mit Fett und Mehl und allerhand Beeren und Blüten gefüllt waren. In einem kleinen Fass entdeckte er noch eine interessante Flüssigkeit, die aussah wie geronnene Milch. Sids Augen wanderten in die Mitte des Raumes über den grob zusammengezimmerten Tisch und die zwei dazu passenden Stühle bis zu den vielen verschiedenen Fellen, die an der gegenüber liegenden Wandseite aufeinandergetürmt auf dem harten, glatten Boden lagen. Das war wohl Hilgaards Schlafplatz.
Im spärlichen Licht der Kerzen, die Hilgaard auf dem Tisch abgestellt hatte, betrachtete Sid fasziniert die Schnüre, die dort an den Höhlenwänden entlang gespannt waren. Vor ihm hingen so viele getrocknete Kräuter, Wurzeln und Pilze, wie er es noch nirgendwo gesehen hatte, auch nicht bei Ina, jener Kräuterfrau, die vor ein paar Jahren in ihre Gegend gekommen war und seitdem nicht weit entfernt vom Ulber-Bauern in einer kleinen Hütte am Dorfrand wohnte.
Hilgaard machte sich an der Feuerstelle zu schaffen und bald
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