Das siebte Kreuz
dem Haus heraus war, als er den klapprigen, leeren Wagen aus der Straße herausgefahren hatte, ja, da fiel ihm dann ein, daß er sich nicht einmal von der Elli verabschiedet hat. Da fiel ihm ein, daß er gar keine Möglichkeit mit ihr besprochen hatte, sie später wiederzusehen.
Droben bei Marnets machte er seine Abrechnung, vergaß auch nicht das Trinkgeld. »Das gehört dir«, sagte Frau Marnet, die sich höchst großmütig dünkte. Als er ein paar Bissen gegessen hatte und in seine Kammer gegangen war, sagte die Auguste: »Der hat heute seinen Korb bekommen, das merkt man.« Ihr Mann sagte: »Der greift noch auf die Sophie zurück.«
Wenn Bunsen irgendwo eintrat, hatten die Leute das Gefühl, sie müßten ihn um Entschuldigung bitten, weil der Raum so eng und die Decke so niedrig war. Auf seinem schönen, kühnen Gesicht drückte sich dann eine gewiss Beschwichtigung aus, sein Aufenthalt sei ohnedies nur vorübergehend.
»Ich hab bei Ihnen noch Licht gesehen«, sagte er, »wir haben ja alle einen ganz netten Tag gehabt.« – »Ja, setzen Sie sich«, sagte Overkamp. Er war von dem Gast keineswegs bezaubert. Fischer machte den Stuhl frei, auf dem er bei den Verhören saß, und setzte sich auf das Bänkchen an der Wand. Beide Männer waren hundsmüde. Aber Bunsen sagte: »Wissen Sie was, ich hab da einen Korn in meiner Bude.«
Er sprang wieder auf, riß die Tür auf und rief in die Nacht: »He - he -« Man hörte das Scharren von Absätzen; als ob die Welt da draußen erloschen sei, schwelte Nebel wie Dampf über die Schwelle.
Bunsen sagte: »Ich war froh, daß Sie noch Licht hatten. Offen gesagt, ich kann das alles nicht mehr aushalten.«
Overkamp dachte: Du meine Güte, auch das noch! Gewissensgeschichten dauern mindestens anderthalb Stunden. Er sagte: »Lieber Freund, diese Welt – wie sie nun mal beschaffen ist – hat verhältnismäßig wenig Möglichkeiten, entweder halten wir eine bestimmte Sorte Menschen hinter einem Stacheldraht und geben schön acht und viel besser als bisher, daß alle drin bleiben – oder wir sind drin und die andern geben auf uns acht. Und weil der erste Zustand vernünftiger ist, muß man, damit er bleibt, verschiedene, manchmal ganz unangenehme Voraussetzungen erfüllt haben.« – »Sie sprechen mir aus dem Herzen«, erwiderte Bunsen. »Und was ich nicht mehr aushaken kann, ist gerade dies Geschwafel von unserem Alten – dem Fahrenberg –« – »Lieber Bunsen«, sagte Overkamp, »das sind nun wieder Ihre Sorgen.« – »Jetzt ist er felsenfest überzeugt, daß er alle kriegt, seit dieser Füllgrabe ankutschiert ist, heut nachmittag. Was glauben Sie, Overkamp?« – »Mein Name ist Overkamp, nicht Habakuk. Ich gehöre weder zu den großen noch zu den kleinen Propheten, ich mache hier harte Arbeit.«
Er dachte: Dieser Bursche bildet sich wirklich immer noch allerhand ein, weil er am Montagmorgen allein ein para normale Anordnungen getroffen hat, die seiner Dienstvorschrift entsprachen.
Das Tablett wurde gebracht mit dem Korn und mit den Gläschen. Bunsen schenkte ein, kippte eins, dann ein zweites, dann ein drittes. Overkamp beobachtete ihn berufsmäßig. Auf diesen Menschen übte der Korn eine eigentümliche Wirkung aus. Er wurde vielleicht nie richtig betrunken, aber schon nach dem dritten Gläschen war er in Haltung und Sprache ganz leicht verändert. Selbst seine Gesichtshaut war etwas lockerer. Er sagte: »Dabei glaub ich gar nicht, daß diese vier Knaben überhaupt etwas spüren, und der fünfte, dieser Belloni, der spürt schon wirklich nichts, weil seine Mütze da hängt und sein alter Frack. Bloß die anderen, wenn man sie hinführt, die spüren’s – da können sie etwas erleben, wenn die auf dem Tanzplatz aufgestellt werden – möchten nicht hinsehen und müssen hinsehen. Aber die vier, wo sie doch ahnen, was ihnen später blüht – wenn man das ahnt, hab ich mal gehört, ist einem alles eins und man spürt gar nichts. Außerdem stehen sie ja nur unbequem, es pikt sie nicht, bloß der Füllgrabe hat gejammert aus Enttäuschung. Kommt der heut nacht noch mal dran? Lassen Sie mich dabeisein!« – »Nein, mein Lieber.« – »Warum nein?« – »Das ist Dienst, eine tuttlige Sache, mein Freund.« – »Ja, bei euch«, sagte Bunsen, seine Augen strahlten. »Lassen Sie mir den Füllgrabe fünf Minuten und ich will Ihnen erzählen, ob es ein Zufall gewesen ist, daß er den Heisler getroffen hat.« – »Es ist möglich,
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