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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Franz sich als Kind gefürchtet hatte.
     
    »Man muß den Teufel nicht an die Wand malen. Wie sollen sie denn gerade auf unsere Wohnung verfallen? Sie haben dich nicht reingehen sehen, sonst wären sie schon hier oben. Denk jetzt lieber, was weiter? Wie du herauskommst aus meinen vier Wänden … Nimm mir’s nicht übel, Schorsch, aber draußen bist du mir lieber wie drinnen.« Georg sagte: »Ich muß aus der Stadt raus, aus dem Land! Ich muß meine Leute finden!« Paul lachte: »Deine Leute? Find mal erst all die Löcher, in die sie sich verkrochen haben.« Georg sagte: »Später, wenn erst mal Zeit dazu ist, kann ich dir ein paar Löcher zeigen, in die sie sich verkrochen haben. Draußen bei uns in Westhofen gibt es auch ein paar Dutzend, die keiner kennt. Wenn wir zwei uns bis dahin nicht auch in solche Löcher verkrochen haben.« – »Ei, Schorsch«, sagte Paul. »Ich hab bloß an einen Bestimmten gedacht – an Karl Hahn aus Eschersheim, der damals –« Georg sagte: »Laß!« Er dachte auch an einen Bestimmten. War denn Wallau schon tot? In einer Welt, die um so rasender weiterlief, je regloser er dalag? Er hörte ihn wieder »Schorsch« sagen, eine einzelne Silbe, die nicht nur den Raum durchmessen hatte, sondern auch die verflossene Zeit.
     
    »Schorsch!« rief der kleine Röder. Georg fuhr zusammen. Paul betrachtete ihn ängstlich. Einen Augenblick war Georgs Gesicht wieder fremd gewesen. Er fragte auch fremd: »Ja. Paul?« Paul sagte: »Ich könnte morgen gleich hingehen zu diesen Leuten, damit ich dich loswerde.« Georg sagte: »Ich will mich noch einmal besinnen, wer in der Stadt lebt. Es sind schon mehr als zwei Jahre her.« – »Du wärst in den ganzen Wirbel nicht reingekommen«, sagte Paul, »wenn du damals nicht so in diesen Franz vernarrt gewesen wärst. Erinnerst du dich noch? Der hat dich damals erst richtig reingebracht, denn vorher … Auf ‘ne Versammlung sind wir ja alle mal gegangen, ‘ne Demonstration haben wir ja alle mal mitgemacht. Wut haben wir alle mal gehabt. Und Hoffnung haben auch alle mal gehabt. Aber dein Franz – der war’s.«
     
    »Das war nicht der Franz«, sagte Georg. »Das war stärker als alles andere –« – »Was soll das heißen, stärker als was?« sagte Paul, wobei er das Seitenpolster des Küchensofas herunterklappte, um Georg für die Nacht bei sich einzurichten.
     
     
     

6
     
    Die Kinder von Ellis Schwester hingen alle an diesem Abend zum Fenster heraus, um die Apfellieferung zu erleben. Sie waren die Kinder jenes SS-Führers, mit dem sein Schwiegervater, der alte Mettenheimer, bei dem Verhör geprahlt hatte. Elli wußte, daß Franz erst ankam, wenn sich die ganze Familie in ihre verschiedenen Veranstaltungen begeben, der Schwager zu seinem Sturm, die Kinder in ihre Heime, die Schwester, was nicht ganz sicher war, in ihren Frauenabend.
     
    Diese Schwester war einige Jahre älter als Elli, mit einer stärkeren Brust und etwas gröberen Zügen, die aber nicht wie bei Elli einen Schimmer von Schwermut, sondern von Munterkeit hatten. Ihr Mann, Otto Reiners, über Tag ein Bankbeamter, war abends SS-Mann, in der Nacht, sofern er daheim war, ein Gemisch aus beidem. Im dunklen Flur hatte Elli beim Kommen nicht bemerkt, daß das dem ihren recht ähnliche Gesicht der Frau Reiners bestürzt und ratlos war.
     
    Als die Kinder vom Fenster weg auf Elli zuliefen, die sie alle leiden konnten, machte Frau Reiners eine Bewegung mit dem Arm, als ob es zu spät sei, die Kinder vor einem Verhängnis zurückzuhalten. Sie murmelte: »Wieso kommst du, Elli?« Elli hatte ihr durch das Telefon die Äpfel angekündigt. Danach hatte ihr Reiners befohlen, die Äpfel wegzuschicken oder selbst zu zahlen. Vorerst dürfte Elli nicht mehr heraufkommen. Als seine Frau ihn fragte, ob er übergeschnappt sei, nahm er sie bei der Hand und erklärte ihr, warum ihr nichts anderes mehr übrigbliebe, als zwischen Elli und ihrer eigenen Familie zu wählen.
     
    Frau Reiners hatte die beste Heirat von den Mettenheimer-Töchtern gemacht. Sie war vernünftig gewesen und geblieben. Daß Reiners aus einem Stahlhelmer zu einem leidenschaftlichen Anhänger des neuen Staates geworden war, ein Judenfresser, antikirchlich in seinen Äußerungen, nahm sie als eine Eigenart ihres Mannes hin, die man schlucken muß. Sie ging zu den Frauen- und Luftschutzabenden, obwohl sie sich langweilte. Das glaubte sie ihrer Ehe schuldig zu sein, worunter sie ihr Zusammenleben mit Reiners und mit ihren Kindern

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