Das siebte Kreuz
verstand, eine ganz regulierbare Sache des Gleichgewichts und der Mischung. Sie war auch verständig genug, ihren Spaß für sich zu behalten, daß Reiners gar keine Einwände vorbrachte, wo es um die Kommunion seiner Kinder ging und um die Ausübung ihrer kirchlichen Pflichten an den hohen Feiertagen. Das schien ihm etwas brenzlig zu sein, da schien ihm eine ganz leichte Rückversicherung angeraten.
Wie sie jetzt Elli dastehen sah unter den Kindern, die ihr den Hut abgezogen, an ihre Ohrringe tupften, ihr die Arme ausrissen, da wurde ihr richtig klar, was die letzten Tage geschehen war und was für Tragweite der Befehl ihres Mannes hatte. Zwischen Elli und meinen Kindern wählen, was für ein Unsinn! Warum muß ich denn überhaupt wählen? Gibt es denn solch eine Wahl? Sie fuhr die Kinder an, Elli in Frieden zu lassen und abzuziehen.
Als die Kinder weg waren, fragte sie Elli nach dem Preis der Äpfel. Sie zählte das Geld auf den Tisch. Als sich Elli sträubte, drückte sie ihr das Geld in die Hand, behielt die zusammengedrückte Hand zwischen ihren Händen, dann begann sie vorsichtig auf sie einzureden. »Du verstehst doch!« endete sie. »Wir können uns ja bei den Eltern sehen. Er war noch heute im Radio. Liebe Elli, wenn du doch damals meinen kleinen Schwager genommen hättest! Er war ganz verknallt in dich. Du kannst nichts zu allem. Du kennst ja Reiners. Weißt du denn, was dir selbst noch bevorstehen kann.«
Sonst wäre Elli bei dieser Eröffnung das Herz stillgestanden, so dachte sie: wenn sie mich nur nicht herauswirft, bevor der Franz mit den Äpfeln kommt. Sie sagte ruhig: »Was soll mir wohl noch bevorstehen?« – »Reiners sagt, auch das sei möglich, daß sie dich noch mal einsperren, hast du schon daran gedacht?« – »Ja«, sagte Elli. – »Und da bleibst du so ruhig, gehst ruhig herum, kaufst Winteräpfel?«
»Glaubst du, daß sie mich weniger einsperren, wenn ich keine kaufe?«
Elli ist immer halbwach herumgelaufen, dachte die Schwester, mit ihren niedergeschlagenen Augen, mit ihren langen Wimpern, Vorhänge vor den Augen. Sie sagte: »Du brauchst nicht auf die Äpfel zu warten.« Da erwiderte Elli rasch und wach: »Nein, ich hab die Äpfel bestellt, wir wollen uns nicht anschmieren lassen. Laß dich nicht von deinem Reiners verrückt machen. In diesen paar Minuten verpeste ich euch eure Wohnung nicht. Ich hab sie auch schon verpestet.«
»Weißt du was«, sagte die Schwester nach kurzem Nachdenken, »hier ist der Mansardenschlüssel, du gehst rauf, staubst die Latten ab, stellst die Einmachtöpfe auf den Schrank. Du legst den Schlüssel später unter die Matte.« Sie war ganz munter, weil sie nun doch eine Lösung gefunden hatte, Elli, ohne sie wegzuschicken, aus der Wohnung zu bringen. Sie zog die Schwester an sich und wollt! sie küssen, was sie sonst nur am Namenstag tat. Elli zog ih Gesicht weg, so daß der Kuß aufs Haar kam.
Als die Tür hinter ihr zufiel, trat die Schwester ans Fenster. In dieser stillen, kleinen Straße wohnten sie schon das fünfzehnte Jahr. Auch ihren nüchternen Augen zeigten sich heute abend diese gewohnten, gewöhnlichen Häuser, wie die Häuser, die man von einem fahrenden Zug aus sieht. In ihrem kühlen Herzen entstand ein Zweifel, wenn auch in der gewohnten Form hausfraulicher Berechnungen: Was schon das Ganze wert sei – Elli hatte inzwischen das Mansardenfenster geöffnet, um die stickige Luft herauszulassen. Auf die Schildchen der Einmachgläser hatte die Schwester mit reinlicher Schrift die Sorten der Früchte geschrieben und die Jahreszahl. Arme Schwester. Elli spürte ein sonderbares unerklärliches Mitleid mit der älteren Schwester, die doch das Glück begünstigt hatte. Sie setzte sich auf einen Koffer und wartete, die Hände im Schoß, mit gesenkten Lidern, mit gesenktem Kopf, wie sie noch gestern auf ihrer Pritsche gewartet hatte, wie sie morgen wer weiß wo warten würde.
Franz kam treppaufgerumpelt mit seinen Äpfelkörben. Das ist nun doch ein Freund, sagte sich Elli, und nicht alles ist bloß Verhängnis. Sie packten eilig die Körbe aus, ihre Hände griffen übereinander. Elli sah Franz rasch von der Seite an. Er war schweigsam, er horchte. Schließlich konnten sie unter einem Vorwand hier heraufkommen. Hermann würde wahrscheinlich nicht erbaut sein, wenn er von diesem Zusammensein hörte, selbst wenn es glatt gegangen war. Franz sagte: »Hast du dir etwas überlegt? Glaubst du, daß er hier in der Stadt
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