Das siebte Kreuz
daß er Ihnen erzählt, daß er sich mit dem Heisler verabredet hat, falls Sie ihm einen Tritt vor den Bauch geben. Aber ich werde Ihnen auch nachher sagen, daß es ein Zufall war. Warum? Weil man den Füllgrabe nur zu schütteln braucht und die Aussagen fallen wie Pflaumen. Weil ich ein Bild von dem Füllgrabe, weil ich ein Bild von dem Heisler habe. Weil mein Heisler sich nie mit dem Füllgrabe am hellen Mittag in einer Stadt verabreden wird.«
»Wenn er sitzen geblieben ist auf der Bank, wie der Füllgrabe Ihnen erzählt hat, dann muß er doch auf jemand gewartet haben. Hat man sein Bild allen Haus- und Blockwarten gegeben?«
»Lieber Bunsen«, sagte Overkamp, »seien Sie doch dankbar für alle Sorgen, die sich andere Leute machen müssen. – Prosit.« Sie stießen an.
»Können Sie nicht dem Wallau sein Köpfchen ein bißchen auseinandernehmen, da muß doch drin sein, auf wen sein Freund gewartet hat. Spannen Sie doch den Füllgrabe und den Wallau zusammen.«
»Lieber Bunsen, Ihre Idee ist wie Maria Stuart, schön, aber unglücklich. Wenn Sie sich aber dafür interessieren, wir haben Wallau genau verhört, hier ist das Protokoll des Verhörs!«
Er langte sich einen weißen Zettel von seinem Tisch, Bunsen starrte darauf. Er lächelte. Seine Zähne waren für sein kühn angelegtes Gesicht ein wenig zu klein. Mausezähnchen. »Lassen Sie mir mal Ihren Wallau bis morgen früh.«
»Nehmen Sie sich das Stückchen Papier ruhig mit«, sagte Overkamp, »und lassen Sie sich Blut darauf spucken.« Er schenkte selbst Bunsen ein. Bunsen, wie alle dreiviertel Betrunkenen, klammerte sich an ein einzelnes Gesicht. Er beachtete Fischer gar nicht. Fischer auf seinem Bänkchen hielt, da er niemals trank, sein volles Glas in der Faust, vorsichtig, um sich nicht seine Hose zu bekleckern. Overkamp machte ihm jetzt mit einer Braue ein Zeichen. Er stand auf, ging umständlich um Bunsen herum an den Tisch, hing einen Hörer ab. »Ach, verzeihen Sie«, sagte Overkamp.
»Dienst ist Dienst.«
»Und sieht aus wie ein gewappneter Erzengel, wie ein Sankt Michael«, sagte Fischer, sobald Bunsen glücklich draußen war. Overkamp hob die kleine Gerte neben dem Stuhl auf, sah sie zwischen zwei Fingern kurz an, so wie er Hunderte solcher Sachen anzusehen pflegte, vorsichtig, um keine Fingerabdrücke zu verwischen. Er sagte: »Ihr heiliger Michael hat sein Schwert liegengelassen.« Er rief nach dem Posten vor der Tür: »Aufräumen hier! Wir machen Schluß! Posten bleiben!«
Hermann fragte an diesem Abend schon zum drittenmal seine Else, ob denn Franz nichts bestellt habe. Else erzählte zum drittenmal, daß der Franz vorgestern nach ihm gefragt hätte und inzwischen nicht wiedergekommen sei. Wie geht das zu? dachte Hermann, daß er zuerst von der Flucht ganz verrückt war, von nichts anderem sprach und plötzlich wegbleibt. Wenn er nur nichts auf eigene Faust unternimmt. Kann ihm denn sonst was passiert sein?
Else summte in der Küche herum mit ihrer tiefen, ein wenig rauhen Stimme, die zuweilen so klang, als ob ein Bienchen das Heideröslein summen würde. Dieses Summen beschwichtigte jeden Abend alle Vorwürfe, die sich Hermann machte, weil er das Kind geheiratet hatte, das nichts von ihm und von nichts etwas wußte. Sogar Hermann sagte sich heute abend, daß sein Leben ohne das Kind in seiner Abgesondertheit und Gespanntheit schwer zu ertragen gewesen wäre. Hermann hatte bereits von Wallaus Verhaftung erfahren. Er riß sich los von der Vorstellung eines am Boden liegenden blutenden Körpers, den man mit Tritten und Schlägen zerbricht, weil ihm etwas Unzerbrechbares innewohnt. Er riß sich auch los von sich selbst, von der unwillkürlichen Vorstellung seines eigenen zerbrechlichen Körpers, dem, wie er hoffte, auch etwas Unzerbrechbares innewohnte. Er wandte sich den ungefangenen Flüchtlingen zu. Diesem Georg Heisler vor allem, weil er hier aus der Gegend kam, weil es immerhin möglich war, daß er hier unterschlüpfte. Was ihm Franz über Georg erzählt hatte, war nach Hermanns Geschmack allzu gemischt gewesen mit halbklaren Empfindungen. Hermann hatte sich schon aus allem, was er sonst von dem Heisler wußte, den er selbst nie gesehen hatte, sein Bild gemacht: einer, der sich nichts spart, der wegwerfen kann, um zu gewinnen. Was ihm noch gefehlt haben mochte, konnte sein Mitgefangener Wallau dazu getan haben, dachte sich Hermann. Wallau kannte er flüchtig, das war ein Mann, in den
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