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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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vor Angst kurzatmiger, trockener Stimme. Denn sie sagte sich, daß Gesang und Helligkeit auf das beste Gewissen deuteten. Der Mensch vor ihrer Tür zögerte wirklich, ehe er schellte.
     
    Er trug keine Uniform. Liesels Lampe schien auf ein nichtssagend-stumpfes Gesicht, das ihr unbekannt war und ihr unoffen vorkam. Sicher ein Geheimer, sagte sich Liesel. Sie bediente sich in ihren Gedanken solcher Ausdrücke, die sie irgendwo aufgeschnappt haben mußte, da Paul über solche Dinge fast nie mit ihr sprach. Sicher hat der auf der inneren Jacke seine Hundemarke.
     
    »Sind Sie Frau Röder?« sagte der Mann. – »Wie Sie sehen.« – »Ist Ihr Mann daheim?« – »Nein«, sagte die Liesel, »der ist weg.« – »Wann kommt er ungefähr heim?«   »Das weiß ich wirklich nicht.« – »Na, er wird doch mal heimkommen.« – »Keine Ahnung.« – »Ist er denn verreist?« – »Ja, ja, er ist verreist, sein Onkel ist gestorben.« – Halb von der Tür versteckt, halb im Schatten sah sie ein Zucken in dem fremden Gesicht, offensichtlich Enttäuschung. – Wird’s bald, dachte sie. – Aber der Mensch drehte sich nochmals um. »Ist er schon lange verreist?« – »Ziemlich.« – »Na, Heil Hitler!« Auch sein Rücken sah enttäuscht aus, er zuckte mit den Achseln.
     
    Liesel bekam einen zweiten Schreck. Wenn er den Hauswart fragte? Auf den Strümpfen schlich sie heraus und lauerte, aber er fragte nicht. Wie sie zurückging ans Küchenfenster, sah sie ihn durch die stille Gasse weggehen.
     
     
     
    Was den Franz an diesem Abend zu den Röders getrieben hatte, war eine halbe Hoffnung, eine Art Richtungsgefühl für das Mögliche. Er war enttäuscht und niedergeschlagen wie er jetzt durch die stillen Straßen an seine Haltestelle ging. Er fuhr hinaus an den entgegengesetzten Stadtrand, wo er sein Rad in einer Wirtschaft untergestellt hatte. Dann fuhr er endlich hinaus zu Hermann in die Siedlung.
     
    Hermann hatte den Franz so sicher erwartet, daß er von Viertelstunde zu Viertelstunde unruhiger wurde. Franz war selten so viele Abende hintereinander weggeblieben. An diesem Abend merkte er, daß auch er, bei dem Franz sich Rat holte, den Franz mehr brauchte, als er gewußt hatte. Dieser Rat, den Franz mit ruhigen Worten und ruhigem Blick ihm abzuverlangen pflegte, um ihn genau zu befolgen, brauchte eben den Franz, um sich abzulösen und aus ihm herauszukommen. Als das Fahrrad nun doch noch unter dem Fenster klingelte, wischte Else mit ihrer Schürze über den wachstuchbezogenen Küchentisch. Hermann holte den Schachkasten aus der Schublade, seine Freude verbergend.
     
    Aber gerade heute abend dauerte Hermanns Freude nur so lang, bis Franz eben richtig am Tisch saß. Franz war anders als sonst. Er blieb auch länger stumm.
     
    Hermann ließ ihm Zeit. Schließlich brach Franz aus oder es brach aus ihm aus. Hermann horchte zuerst nur aufmerksam, dann erstaunt, dann besorgt. Franz erzählte, was ihm widerfahren war, wie er Elli dreimal getroffen hatte im Kino, in der Markthalle und in der Apfelmansarde. Wie sie Georgs Leben zusammen durchstöbert hatten, Menschen aus ihrem Gedächtnis herausgewühlt, wie er den Spuren gefolgt war, von dem Gedanken besessen, Georg selbst zu finden. Wie ihm das alles mißglückt war und überhaupt! »Was überhaupt?« Aber Franz war wieder verstummt und Hermann wartete. Daß der Franz ihm erst jetzt das alles erzählte, so viel auf eigene Faust unternommen hatte, ohne sich mit ihm zu besprechen, war falsch und zwecklos. Hermann betrachtete verwundert das etwas derbe, etwas schläfrige Gesicht seines Freundes, das seine Zähigkeit gut versteckte.
     
    Franz fing wieder zu sprechen an, aber anders, als Hermann erwartet hatte.
     
    »Siehst du, Hermann, ich bin ein ganz gewöhnlicher Mensch. Alles, was ich mir wünsche im Leben, das sind die allergewöhnlichsten Sachen. Daß ich hierbleiben kann, wo ich bin, denn ich bin gern hier. Diesen Drang, wegzugehen, den manche haben, so weit wie möglich, ich hab ihn nicht. Ich mag hier immer bleiben von mir aus. Dieser Himmel, nicht zu grell, nicht zu grau. Und man verbauert nicht und man verstädtert nicht. Alles ist beieinander, Rauch und Obst. Wenn ich die Elli hätte bekommen können, wie war ich froh geworden. Andere haben Lust nach allen möglichen Frauen, nach allerlei Abenteuern, ich aber hab das gar nicht. Ich war der Elli treu, dabei weiß ich, daß an der Elli gar nicht so was Außerordentliches dran ist. Sie ist bloß lieb. Ich aber war

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