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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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zufrieden, ich könnt mit ihr wohnen, bis wir alt und grau sind. Aber ich kann sie jetzt nicht mal mehr sehen …«
     
    »Sicher nicht«, sagte Hermann, »es war schon zuviel, daß du überhaupt zu ihr gegangen bist –« – »Ganz gewiß kein unbescheidener Wunsch, mit der Elli am Sonntag auszugehen, aber ich kann nicht. Nein. Sieh mich nicht so erstaunt an, Hermann. Also, ich kann die Elli nicht haben. Ob ich lange hierbleiben kann, ist die große Frage. Vielleicht heißt’s schon morgen: fort.
     
    Ich habe mir immer im Leben die einfachsten Sachen gewünscht – eine Wiese oder ein Boot, ein Buch, Freunde, ein Mädchen, Ruhe um mich herum. – Dann aber ist dieses andere über mein Leben gekommen. Ist gekommen, als ich noch ganz jung war – dieser Wunsch nach Gerechtigkeit. Und mein Leben ist langsam anders geworden und jetzt nur zum Schein noch ruhig.
     
    Manche von unseren Freunden, wenn sie sich ausmalen, wie ein anderes Deutschland aussehen wird - du mein Gott, was haben sie für die Zukunft für Träume.
     
    Ich aber hab das nicht. Nachher möcht ich auch noch dort sein, wo ich jetzt bin, nur anders. In demselben Betrieb, nur als ein anderer. Hier arbeiten für uns. Und am Nachmittag noch so frisch aus der Arbeit kommen, daß ich lernen und lesen kann. Wenn das Gras noch ganz warm ist. Aber es soll das Gras sein hier an Marnets Zaun. Überhaupt soll das alles hier sein. Hier in der Siedlung will ich dann wohnen oder auch droben, bei Marnets und Mangolds …«
     
    »Das ist immerhin gut, schon jetzt zu wissen«, sagte Hermann, »aber jetzt sag mir auch, wie dieser Röder aussieht, Georgs Freund.«
     
    »Klein«, sagte Franz, »von weitem wie ein Junge. Warum?« – »Wenn die Röders jemand bei sich verstecken, hätten sie sich genauso benehmen müssen, wie du erzählt hast. Aber wahrscheinlich haben sie niemand versteckt.«
     
    »Wie ich kam, war die Frau mit den Kindern allein«, sagte Franz, »ich hab vorher und nachher gehorcht.«
     
    Hermann dachte: Franz muß jetzt ganz aus dem Spiel bleiben. – Die drei Worte »wie ein Junge« hatten ihn fast erschreckt; er hörte sie heute zum zweitenmal. Wenn ich nur Zeit hätte. Backer wird noch Anfang der Woche in Mainz sein! Zeit ist das einzige, was mir fehlt. Den Jungen brächte man schon heraus, aber die Zeit – die Zeit. –»Wo hat dieser Röder gearbeitet?« – »Bei Pokorny. Warum kommst du wieder darauf?« – »Nur so –«
     
    Aber Franz spürte oder glaubte zu spüren, daß ihm Hermann einen Gedanken vorenthielt.
     
     
     
    In dieser Nacht saßen Paul und Liesel auf ihrem Küchensofa zusammen, und er streichelte ihr den Kopf und ihren runden Arm, als versuche er’s ungeschickt, wie in den ersten Liebestagen, und er küßte sogar ihr Gesicht, das vom Weinen naß war. Dabei hatte ihr Paul erst einen Teil der Wahrheit erzählt. Hinter dem Georg sei die Gestapo her wegen der alten Sachen. Darauf stünden jetzt furchtbare Strafen nach dem neuen Gesetz. Hätte er wohl den Georg wegschicken können?
     
    »Warum hat er mir nicht die Wahrheit gesagt? Ißt und trinkt an meinem Tisch!«
     
    Liesel hatte zuerst geschimpft, ja getobt, war in der Küche herumgestampft, rot vor Wut. Dann hat sie begonnen, zu jammern, dann zu weinen, das war alles jetzt auch vorbei. Mitternacht war schon vorbei. Liesel hatte sich ausgeweint. Alle zehn Minuten fragte sie noch, als sei das der Schwerpunkt der Sache: »Warum habt ihr mir nicht die Wahrheit gesagt?«
     
    Da erwiderte Paul in verändertem, trockenem Ton: »Weil ich nicht wußte, wie du die Wahrheit verträgst.« Liesel zog ihren Arm aus seinen Händen weg, sie schwieg. Paul fuhr fort: »Wenn wir dir alles gesagt hätten, wenn wir dich vorher gefragt hätten, ob er bleiben kann, hättest du ja oder nein gesagt?« – Liesel erwiderte heftig: »Da hätt ich sicher nein gesagt. Wie? Er ist nur einer! Und wir sind vier – fünf. Ja, sechs, mit dem was wir erwarten. Was wir dem Georg gar nicht gesagt haben, weil er sich schon lustig gemacht hat über die, die da sind. Und das hättest du ihm auch sagen müssen: Lieber Georg, du bist einer und wir sind sechs –« – »Liesel, es ist um sein Leben gegangen –« – »Ja, aber auch um unseres.«
     
    Paul schwieg. Er fühlte sich elend. Er war zum erstenmal mutterseelenallein. Nie mehr kann es so werden, wie es gewesen ist. Diese vier Wände, wozu ? Dieses Durcheinandergepurzel von Kindern – wozu? Er sagte: »Da verlangst du noch, daß man dir alles

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