Das siebte Kreuz
Bei der soll ein Bruder von meiner Frau aus Offenbach in Stellung kommen, der war im Kittchen, dem hat man den Führerschein entzogen, in dem seinem Blut hat man Alkohol gefunden. Der hat jetzt geschrieben, er kommt später, ich soll das ausmachen. Sie weiß das ja alles nicht, sie kennt ihn auch gar nicht. Ich stell dich dort vor. Du sagst zu allen ja oder gar nichts.«
»Und die Papiere? Und morgen?« – »Gewöhn dich doch endlich dran, eins, zwei, drei zu zählen, statt zwei, eins, drei. Jetzt mußt du weg. Du mußt für die Nacht wo unterkommen. Willst du lieber heut nacht erst mal tot sein und morgen gute Papiere haben? Morgen schlupf ich mal dort vorbei. Dem Paul fällt immer noch mal was ein.«
Georg berührte seinen Arm. Paul sah zu ihm auf, er schnitt eine kleine Grimasse, wie man es Kindern macht, um sie vom Weinen abzubringen. Seine Stirn war heller als sein übriges Gesicht, weil sie weniger betupfelt war. Sein, bloßes Geleit beruhigte Georg. Wenn er nur nicht plötzlich umkehrt. Georg sagte: »Man kann uns jeden Augenblick zusammen hoppnehmen.« – »Wozu denn auch daran denken?«
Die Stadt war hell und voll. Zuweilen traf Paul einen Bekannten, grüßte und wurde zurückgegrüßt. Dann drehte Georg den Kopf weg. »Du mußt dich nicht immer wegdrehn«, sagte Paul, »man erkennt dich doch nicht.« – »Du hast mich doch sofort erkannt, Paul.« Sie kamen in die Metzgergasse. Es gab in der Gasse zwei Reparaturwerkstätten, eine Tankstelle, ein paar Wirtschaften. Da Paul hier öfters durchkam, wurde er öfters begrüßt. Heil Hitler hin, Heil Hitler her, Paulchen hin, Paulchen her. Es gab auch noch einen Aufenthalt in der Torfahrt: SA, zwei Frauen, das Männlein aus der Hofstube. Dem glühte heut abend die Nase wie ein Katzenkopf. »Wir sitzen im Sonnchen, komm ein bißchen rein, Paulchen.« – »Ich will erst meiner Tante Katharina gut Nacht sagen.« – »Uii!« machte der Alte, dem bei dem Namen die Angst den Rücken herunterlief. »Komm, Katzenköpfchen«, sagten die zwei Frauen und nahmen ihn in die Mitte und führten ihn ab. Dann fuhr ein Lastwagen aus dem Hof und quetschte sie rechts und links an die Wand. Wie sie dann in den Hof hineingingen, Georg und Paul, da stand die Frau Grabber, die Tante Katharina, selbst auf der Torschwelle, da sie eben die Fuhre verabschiedet hatte. Die Überlandzüge fuhren nachts ab.
»Das ist er!« sagte Paul. – »Der da?« sagte die Frau. Sie warf einen kurzen Blick auf Georg. Sie war stark und breit, aber mehr in den Knochen als im Fleisch. Das weiße, zottige Haar über der bös gebuckelten Stirn, die ebenfalls weißen Brauen über den bösen und scharfen Augen ließen sie nicht als Greisin erscheinen, sondern als irgendein Geschöpf, das von Natur aus weißmähnig ist. Sie warf einen zweiten kurzen Blick auf Georg. »Wird’s bald?« Sie wartete einen Augenblick, sie schlug ihm beiläufig gegen den Hut. »Runter! Hat er keine Mütze?« – »Er hat sein Zeug noch bei uns«, sagte Paul, »er sollte heut nacht bei uns schlafen, nun krächzt unser Paulchen rum, die Liesel denkt, das gibt Masern.« – »Viel Vergnügen«, sagte die Frau. »Was steht ihr denn da im Tor rum, kommt rein oder bleibt draußen.« – »Adieu, Otto, laß dir’s gut gehen«, sagte Paul, der Georgs vom Kopf gestoßenen Hut in der Hand behalten hatte. »Adieu, Tante Katharina, Heil Hitler!«
Georg hatte sich inzwischen das Gesicht der Frau genau betrachtet: das Gelände, auf dem er sich in den nächsten Stunden durchfinden muß. Jetzt sah sie ihn ihrerseits an, zum drittenmal, diesmal hart und gründlich. Er gab ihrem Blick nichts nach – beide hatten sie keinen Anlaß zur Güte. »Wie alt sind Sie?« – »Dreiundvierzig.« – »Hat mich der Paul angeschmiert, mein Geschäft ist kein Siechenhaus.« – »Sehen Sie doch erst mal, was ich kann.« Ihre Nasenlöcher blähten sich. »Ich weiß schon, was ihr könnt, hopp – hopp – hopp, zieh dich um.« – »Geben Sie mir einen Kittel, Frau Grabber, mein Zeug ist doch noch bei dem Paul.« – »Hm?« – »Ich hab nicht wissen können, daß hier nachts das Geschäft geht.« Da fing die Frau zu schimpfen an, daß es dampfte – minutenlang. Georg hätte sich nicht gewundert, wenn sie zugeschlagen hätte. Er hörte sie schweigend an mit einer Spur von Lächeln, das ihr entging oder nicht entging im Laternenlicht. Als sie fertig war, sagte er: »Wenn Sie keinen Kittel für mich haben, schaff ich Ihnen in Unterhosen.
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