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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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mich nie mehr abholen! Wenn Paul mich einfach hier läßt? An Stelle dieses Otto?
     
    Er stellte sich vor, wie sein Leben verlief, wenn er immer hier bleiben müßte. Ohnmächtig, diesen Ort zu verlassen. Nie mehr aus diesem Hof heraus, von allen vergessen. Besser auf eigene Faust entkommen, so rasch als möglich. – Wenn dann die Hilfe doch kam! Er schon unterwegs, aufgegriffen ein paar Stunden später!
     
    Wenn sie mich fangen, und wenn sie mich einliefern, sagte er sich, soll es geschehen, solange Wallau noch lebt. Wenn es denn unvermeidlich ist, lieber rasch, daß ich mit Wallau zusammen sterbe! Falls er noch lebt! In diesem Augenblick erschien ihm das Ende unvermeidlich. Was sonst auf das Leben verteilt ist, auf Strecken von Jahren, eine Anspannung aller Kräfte bis zum Reißen und das Nachlassen und das Absinken und das schmerzhafte Wiederanspannen, das vollzog sich in seinem Kopf in einer Stunde, in einem Wechsel von Minuten. Endlich war es ausgebrannt.
     
    Er sah stumpf zu, wie es Tag wurde.
     
     
     

Sechstes Kapitel
     
     
    1
     
    Fahrenberg lag auf dem Rücken, angekleidet, seine Beine in Stiefeln hingen vom Bett herunter. Seine Augen waren offen. Er horchte in die Nacht.
     
    Er rollte den Kopf in die Decke. Jetzt gab es wenigstens ein Geräusch, diese Brandung, die aus dem Inneren des Menschen kommt. Nur nicht mehr horchen müssen! Er verzehrte sich nach einem Ton, nach irgendeinem Alarm, von dem man im voraus nicht wissen konnte, woher er kam, so daß das selbstverzehrende Horchen vollkommen war. Ein Motor fern auf der Landstraße, das Anschrillen des Telefons in der Verwaltung, schließlich auch Schritte von der Verwaltung zur Kommandantenbaracke hätten das Warten beenden können. Aber das Lager war still, sogar totenstill, seit die SA die Abfahrt der Kommissare auf ihre Art gefeiert hatte. Bis halb zwölf war gesoffen worden, zwischen halb zwölf und halb eins war man die Häftlingsbaracken »durchgegangen« wegen des Zwischenfalls am Nachmittag. Gegen eins, als die SA genauso erschöpft war wie die Häftlinge, wurde der Tanz plötzlich abgebrochen. Fahrenberg war in der Nacht noch ein paarmal zusammengezuckt. Einmal war ein Wagen in der Richtung nach Mainz gefahren, zweimal nach Worms zu, Schritte waren über den Tanzplatz gekommen, aber vorbei an der Baracke zu Bunsens Tür, kurz nach zwei hatte das Telefon in der Verwaltung geläutet, und er hatte die Meldung erwartet, aber es war nicht die Meldung gewesen, die man ihm hätte zu jeder Tag- und Nachtzeit erstatten müssen: die Einlieferung des Siebten.
     
    Fahrenberg zog halberstickt die Decke vom Kopf. Wie still die Nacht war! Statt von Sirenen erfüllt zu sein, von Pistolengeknall und Motoren, von einer ungeheuren Fahndung, an der sich alle beteiligten, war sie die stillste der Nächte, eine gewöhnliche Nacht zwischen zwei Werktagen. Keine Scheinwerfer kreuzten den Himmel. Für die Dörfer ringsum waren die Herbststerne im Dunst verloren, nur das weiche, aber eindringliche Licht des Mondes, der mit der Woche abnahm, fand den, der sich danach sehnte, gefunden zu werden. Nach einem harten Tagwerk lag alles in ruhigem Schlaf. Es war ja auch Friede, bis auf ein paar Schreie aus dem Westhofener Lager, die hie und da jemand weckten, der dann aufgerichtet horchte. Der Lärm einer aus der Gegend abziehenden Kriegshorde schien sich noch einmal zu verstärken, um dann ganz zu ersterben. So daß, wer jetzt wach blieb, sicher nicht mehr durch äußere Stimmen am Schlaf behindert wurde.
     
    Ich will jetzt schlafen, sagte sich jetzt Fahrenberg, Overkamp ist schon lange an Ort und Stelle. Warum habe ich überhaupt eine Frist aufgestellt, warum habe ich diese Frist bekanntgegeben? Wenn sie den Heisler jetzt nicht ergreifen, mir kann das nicht zur Last gelegt werden. Ich muß auf jeden Fall jetzt schlafen.
     
    Er rollte wieder den Kopf in die Decke. Wenn er aber schon fort aus dem Land ist? Wenn man ihn darum nicht findet, weil man ihn nicht mehr finden kann? Wenn er gerade jetzt über die Grenze geht? Aber die Grenze ist ja bewacht wie im Krieg.
     
    Er fuhr hoch. Es war fünf Uhr. Ein verworrener Lärm von außen. Ja, es ist soweit. Von der Landstraße her, vom Lagereingang kam Motorengeräusch, kamen die abgesetzten Kommandos, die den Empfang begleiteten. Dann kam der dunkle, ungleich aufsteigende Lärm, der noch nicht auf den Ton gekommen ist, noch nicht auf den bittersüßen Geschmack. Noch ist kein Blut geflossen.
     
    Fahrenberg hatte ein paar

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