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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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erzählt! Dir die Wahrheit! Wenn du ihm nun die Tür vor der Nase zugemacht hast, und ich geb dir die Zeitung zwei Tage später, und du findest ihn dann – den Georg Heisler – unter >Volksgerichtshof< und unter >Urteil sofort vollstreckt<, hättest du dann keine Reue? Tätst du ihm dann die Tür nochmals zumachen vor der Nase, wenn du das vorher wissen konntest?«
     
    Er war ein Stück von ihr abgerückt. Sie weinte von neuem vor sich hin in die zusammengelegten Hände. Dann sagte sie heftig weinend: »Jetzt denkst du schlecht von mir. Schlecht, schlecht. So schlecht hast du noch nie von mir gedacht. Und du möchtest das schlechte Stück los sein - deine Liesel. Ja, das denkst du, und daß du jetzt ganz allein bist, und daß wir dich einen Dreck angehn. Nur der Georg geht dich noch was an. Ja, gewiß, wenn ich’s vorher gewußt hätte, daß das alles so mit ihm kommen wird, daß das alles so kommen wird mit dem >Urteil vollstreckt<, ja – dann hätt ich ihn aufgenommen. Und vielleicht hätt ich ihn überhaupt aufgenommen. Ich weiß es jetzt nicht. Das hängt alles an einem Haar. Ja, ich glaube auf einmal, ich hätte ihn doch aufgenommen.« Paul sagte ruhiger: »Siehst du, Liesel, und deshalb hab ich dir nichts gesagt, denn du hättest ihn vielleicht zuerst nicht aufgenommen, aber nachher, wenn man dir alles erklärt hätte, wär’s dir leid gewesen.« – »Aber es kann doch noch immer was Schlimmes nachkommen. Dafür muß man dann gradstehn.« – »Ja«, sagte Paul, »dafür steh ich dann grad. Ich hab’s bestimmen müssen, nicht du. Denn ich bin ja der Mann hier und von unserer Familie der Vater. Denn ich kann gleich >ja< sagen zu etwas, wo du zuerst >nein< gesagt hättest und dann >vielleicht< und dann doch >ja<. Aber es wär schon zu spät gewesen. Da kann ich mich gleich entscheiden.« – »Aber was wirst du der Tante Katharina morgen sagen?« – »Das besprechen wir alles noch später. Jetzt koch zuerst mal en Kaffee, wie du gestern gekocht hast, als der Georg zusammengefallen ist.«
     
    »Der hat uns alles ganz umgekrempelt! Nachts Kaffee!« – »Wenn dich morgen der Hauswirt fragt, wer heut bei uns war, sagst du, der Alfred von Sachsenhausen.« – »Warum sollen denn die mich fragen?« – »Weil sie selbst von der Polizei gefragt werden, und auch uns vielleicht fragt noch die Polizei.« Da geriet Liesel wieder in Aufruhr. »Uns die Polizei! Lieber Paul, du weißt, daß ich nicht lügen kann. Man sieht’s mir an. Schon als Kind hab ich’s nicht gekonnt. Schon wenn andere gelogen haben, hat man’s mir angesehn.« Paul sagte: »Wie, du kannst nicht. Hast du denn vorhin nicht gelogen? Wenn du nicht lügen kannst bei der Polizei, dann wird hier kein Stein auf dem anderen bleiben. Du wirst mich nie mehr wiedersehn. Wenn du aber genauso lügst, wie ich’s dich heiße, dann versprech ich dir, daß wir auf unsre Freikarten Sonntag Westend–Niederrad zusehn.« – »Gibt es denn Freikarten?« – »Ja, es gibt.«
     
     
     
    Georg hatte sich kurz vor Mitternacht in der Garage niedergelegt, war aber gleich wieder gerufen worden, weil der Chauffeur, der den Wagen abholte, irgendwelche Beschwerden hatte. Die Frau Grabber beschimpfte ihn diesmal leise und ätzend. Wie er sich niederlegte, kam der zweite Wagen nach Aschaffenburg. Diesmal blieb die Frau Grabber gleich hinter ihm stehen, sah ihm auf die Finger, quittierte ihm jeden lahmen Griff und jede alte Schuld und Verfehlung. Dieser Otto, den er vertrat, mußte ein ziemlich schäbiges, ziemlich schändliches Leben geführt haben. Kein Wunder, daß er sich länger krank stellte, daß er sich scheute vor der Gaulskur, die Paul ihm hier zugedacht hatte. Georg wollte sich legen, aber jetzt hieß es, die Werkzeuge überholen, die Garage putzen.
     
    Der Morgen war nah. Georg sah zum erstenmal auf. Die Frau stockte.
     
    War es denn diesem Burschen schon völlig eins, unter welchen Rädern er lag? Dünkten ihm gar die Räder, unter die er jetzt gekommen war, vergleichsweise sachte?
     
    Sie kam vor Erstaunen zur Ruhe und dadurch auch der andere. Er zog sich zurück.
     
    Sie beugte sich noch einmal aus dem Fenster. Er hatte sich auf der Bank zusammengerollt.
     
    Sie dachte: Ich kann vielleicht doch mit ihm auskommen.
     
     
     
    Georg lag bleischwer unter Bellonis Mantel.
     
    Wenn auch an Schlaf nicht zu denken war, seine Gedanken hatten die punkt- und schlußlose Folge, die
    Geschmeidigkeit von Gedanken, die man in Träumen durchdenkt. Wie, wenn sie

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